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17.07.2025

Forschung in der Mikrogravitation: Verständnis von Bewegungsartefakten in kardiovaskulären SCG-Sensoren

Mission Patch ARTIFACTS

Im Rahmen der 44. DLR-Parabelflugkampagne im Juni 2025 beteiligte sich ein Forschungsteam der Smart Sensors Group der Technischen Universität Hamburg-Harburg (TUHH) an einem wissenschaftlichen Experiment zur Verbesserung der Genauigkeit von nicht-invasiven Herz-Kreislauf-Überwachungssystemen.

Als medizinischer Projektpartner war das Fachgebiet Digitale Medizin der Universität Bielefeld mit an Bord. Im Mittelpunkt des von der TUHH geleiteten Experiments mit dem Titel ARTIFACTS stand die Untersuchung, wie Bewegungsartefakte in Signalen der Ballistokardiographie (BCG) und Seismokardiographie (SCG) durch schwerkraftabhängige Sensorbewegungen beeinflusst werden.


Forschungshintergrund
(BCG) und Seismokardiographie (SCG) sind nicht-invasive Methoden zur Messung oszillierender Rückstoßbewegungen des ganzen Körpers bzw. des Brustkorbs, die u.a. durch ballistische Kräfte verursacht werden, die durch die mechanischen Aktionen des Herzens und den Blutfluss entstehen. Die Beschleunigungen dieser Bewegungen können von digitalen 3D-Beschleunigungssensoren (Akzelerometern) auf der Körperoberfläche abgeleitet und analysiert werden, um die Herzfrequenz und physiologische Informationen über den Blutfluss und die Herzklappenaktionen zu erhalten. Trotz zahlreicher Forschungsarbeiten besteht immer noch eine grundlegende Unsicherheit bei der Charakterisierung der SCG/BCG-Signale, was die Interpretation extrem erschwert. Die Sensoren rollen, neigen und gieren aufgrund der durch das Herz und den Blutfluss erzeugten Bewegungen, die auf die Körperoberfläche übertragen werden, sowie aufgrund der Erdanziehung. Dies hat zur Folge, dass ein Teil der Beschleunigungsdaten im BCG/SCG-Signal nicht auf die Beschleunigung des Herzens zurückzuführen ist, sondern auf Bewegungen des Sensors selbst (die so genannte Eigenrotation der Sensoren), die nicht von Interesse sind, wenn Rückschlüsse auf das Herz gezogen werden sollen. Dies wird als BCG-/SCG-artige Beschleunigungsartefakte auf den Achsen bezeichnet. Als Folge dieser Sensorbewegungen kann es zu konstruktiven oder destruktiven Interferenzen mit dem eigentlichen BCG-/SCG-Signal kommen, die zu Verformungen und damit zu Fehlinterpretationen des Signals führen können.


Ziele der ARTIFACTS-Studie
Ziel des ARTIFACTS-Experiments war es, unter kontrollierten Gravitationsbedingungen zwischen tatsächlichen herzinduzierten Signalen und artefaktinduzierten Signalen zu unterscheiden. Durch den Einsatz von Parabelflugmanövern konnte das Forschungsteam Daten während Phasen der Mikrogravitation (0g), der normalen Gravitation (1g) und der Hypergravitation (1,8g) sammeln. So konnte in einer kontrollierten Umgebung untersucht werden, wie sich die Gravitationskräfte auf das Verhalten der Sensoren auswirken.

Technischer Ansatz
In den DLR-Förderprojekten SArES und AuRelia entwickelt die Smart Sensors Group ein SCG-Sensorsystem, das eine hohe Messgenauigkeit bietet und auch für den Einsatz in Weltraummissionen geeignet ist. Im Projekt SpacePatch soll dieser 6g schwere und ca. 2cm große Sensor in kommenden Missionen eingesetzt werden. Für das ARTIFACTS-Experiment wurde neben diesen Sensoren auch eine speziell entwickelte Referenzhardware für die hochgenaue und synchrone Messung und Aufzeichnung von kardiovaskulären Referenzdaten entwickelt. Die Steuerung des Experiments erfolgte über einen Laptop, und auch die Software für die fehlertolerante Datenaufzeichnung und die direkte Beschriftung markanter Punkte während des Fluges wurde von der Smart Sensors Group entwickelt. Technologisch werden die sehr geringen Beschleunigungen mit dem Differential-Sensing-Verfahren mit einem deutlich höheren SNR als bei herkömmlichen Sensoren erfasst. Die Methode wurde ebenfalls von der Smart Sensors Group entwickelt und integriert.


Erwartete Ergebnisse und Anwendungen
Die Datenanalyse konzentriert sich auf die Kartierung und Kompensation von Artefakten, die durch die Sensorausrichtung und -bewegung entstehen. Dies wird die Signalqualität bei SCG/BCG verbessern und die Entwicklung von genaueren tragbaren Geräten unterstützen. Die Arbeit der TUHH ist insbesondere für Weltraumanwendungen (z.B. im DLR SpacePatch-Projekt), aber auch für terrestrische Anwendungsfälle wie ambulante Überwachung und Telemedizin relevant.

Langfristig werden die in ARTIFACTS entwickelten Methoden dazu beitragen, robustere, leichtere und stromsparende Biosignalverarbeitungssysteme zu entwickeln, die auch unter schwierigen Umweltbedingungen zuverlässig funktionieren. Die Smart Sensors Group wird diese Forschung im Rahmen des kürzlich gestarteten DFG-geförderten Projekts KORVEKSiS (54215145).

Von der Smart Sensors Group entwickelte und im Parabelflug eingesetzte Referenzhardware
Ein Teil des Forschungsteams: Kazi Rahman, Projektleiter Prof. Dr. Ulf Kulau (beide TUHH) und Prof. Dr. Dr. Urs-Vito Albrecht (Universität Bielefeld) während eines Parabelfluges (Quelle: Novespace)