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Beton recyceln – Aus Bauschutt wird Baustoff

Plakette für die UN Nachhaltigkeitsziele 11 und 12

Forscher*innen: Kerstin Kuchta, Janus zum Brock, Mahsa Doostdar Kejdehi, Ariana Morales Rapallo

Die „Hamburger Mische“ zeigt: Baustellenabfälle können hochwertige Rohstoffe für die Betonherstellung liefern und dadurch die Branche nachhaltiger machen

Beton ist ein vielseitiges und langlebiges Baumaterial, in Deutschland werden pro Jahr einige 100 Millionen Tonnen verbaut. Er besteht aus Zement, Wasser und den sogenannten Zuschlagsstoffen wie Sand, Kies und Schotter. Die allerdings werden weltweit immer knapper und auch teurer, weshalb die Branche nach Ersatz sucht. Eine Möglichkeit ist die Wiederverwertung von Bauschutt und Abbruchabfällen. In einem EU-Projekt hat die TU Hamburg gemeinsam mit Partnern aus der Bauwirtschaft einen vielversprechenden Recycling-Beton entwickelt – die „Hamburger Mische“. Nach erfolgreichen Tests wurde sie nun erstmals in der Praxis eingesetzt: In Hamburg-Eilbek sind Teile eines Grundschul-Neubaus mit der innovativen Beton-Rezeptur errichtet worden. 
„Wenn Bau- und Abbruchabfälle wiederverwertet werden, geschieht das bislang meist nur als Füllmaterial für den Straßenbau – wir sprechen von Downcycling“, sagt Mahsa Doostdar vom CREM, dem Institute of Circular Resource Engineering and Management der TU Harburg. „Dagegen wollten wir diese Abfälle nutzen, um hochwertigen Beton herzustellen – Recycling-Beton.“ Um die Idee in die Tat umzusetzen, beteiligte sich die von Janus zum Brock geleitete Arbeitsgruppe am EU-Projekt „CIRCuIT“. Das Konzept klingt erst mal simpel: Der Bauschutt wird zu kiesel- oder sandkorngroßen Partikeln zerkleinert, die dann dem Zement als Zuschlagstoff beigemengt werden.

Hamburger Mische hat sich durchgesetzt

Doch in der Praxis gibt es diverse Herausforderungen – so darf der Bauschutt nicht kontaminiert sein. Und damit der Beton später stabil und haltbar ist, muss bei der Größe der verwendeten Partikel ein gutes Verhältnis zwischen feiner und grober Körnung gefunden werden. Gemeinsam mit mehreren Firmen aus der Hamburger Baubranche setzte sich das TU-Team ein ehrgeiziges Ziel: Lässt sich ein hochwertiger Beton herstellen, dessen Zuschlagstoffe vollständig aus recycelten Materialien bestehen? Um das herauszufinden, errichteten die Partner auf dem Firmengelände der OTTO WULFF Bauunternehmung in Hamburg-Billstedt die „Musterbude“ – eine Art Forschungshütte. Deren Wände und Bodenplatten bestanden aus jeweils unterschiedlichen Betonrezepturen mit variierenden Recycling-Anteilen. Dagegen war die Decke aus Normalbeton ausgeführt und diente als Referenzpunkt. „Das beste Resultat erzielten wir mit einer Rezeptur, die wir als Hamburger Mische bezeichnen“, erzählt Doostdar. „Ihre Zuschlagsstoffe bestehen zu hundert Prozent aus Bauschutt, im Wesentlichen aus Klinker, Ziegel, Kalksandstein und Beton.“ Das neue Material steht den meisten herkömmlichen Betonen an Festigkeit, Tragkraft, Verarbeitung in nichts nach – und sieht auch nicht schlechter aus. Das Ergebnis war so überzeugend, dass die neue Rezeptur 2024 erstmals in einem richtigen Gebäude zum Einsatz kam: Als an der Grundschule Richardstraße in Hamburg-Eilbek ein dreigeschossiger Neubau errichtet wurde, kamen rund 100 Kubikmeter des neuen Recycling-Betons zur Verwendung. „Dabei war wichtig, dass die Bau- und Abbruchabfälle für den Beton aus Hamburg stammen“, betont Doostdar. „Wir haben sie quasi aus der Nachbarschaft bezogen.“ Müsste man den Schutt aus weiter entfernten Orten herankarren, würden die langen Transportwege und damit verbundenen CO2-Emissionen die Öko-Bilanz verschlechtern. Das haben Umweltverträglichkeitsprüfungen an der TU ergeben. Für Hamburg sind die Aussichten günstig: 2025 wird das Unternehmen OTTO DÖRNER – einer der Projektpartner bei CIRCuIT – eine neuartige, höchst leistungsfähige Recycling-Anlage in Betrieb nehmen. Sie kann Bau- und Abbruchabfälle deutlich gründlicher in ihre Bestandteile trennen, als es bislang möglich ist.

Bislang nur ein Prozent Recycling-Beton

Allerdings ist das Recycling-Material teurer als konventioneller Beton – der Preisaufschlag dürfte bei etwa zehn Prozent liegen. „Bisher haben wir uns an der TU auf die Umweltverträglichkeitsprüfung konzentriert und sehen dabei positive Auswirkungen“, berichtet Mahsa Doostdar. „Um nun auch die Lebenszykluskosten abzuschätzen, haben wir einen Kollegen mit betriebswirtschaftlichem Hintergrund eingestellt, der uns bei diesen Berechnungen helfen kann.“ In Deutschland besteht lediglich rund ein Prozent des im Hochbau verarbeiteten Betons aus der Recycling-Variante. Um den Anteil zu steigern, müssten die Mehrkosten signifikant gesenkt werden. Ferner gibt es technisches Versbesserungspotenzial: Für die Herstellung von Recyclingbeton braucht es, um dieselbe Materialqualität und -stärke zu erhalten, deutlich mehr Wasser als bei der Produktion von herkömmlichem Beton. Forschungsprojekte sollen dieses Manko beheben. So experimentieren Fachleute damit, die recycelten Zuschlagstoffen vor dem Vermischen mit dem Zement in Wasser einzutauchen – dann könnte es sein, dass für den anschließenden Mischvorgang weniger Wasser benötigt wird. 

Für Beton nötigen Zement ersetzen

Eine weitere Forschungsfrage betrifft den Algenbewuchs. „Etwa ein Jahr nach der Fertigstellung der Musterbude bemerkten wir, dass einige ihrer Wände grün wurden, weil Algen auf ihnen wuchsen“, erzählt Doostdar. Um die Ursache aufzuspüren, nahm das TU-Team Proben und analysierte sie im Labor. In Verdacht steht die Porosität der recycelten Gesteinskörnchen. Enthalten sie mehr Poren als konventionelle Zuschlagsstoffe, könnte Wasser in die winzigen Hohlräume eindringen und einen Nährboden für das Algenwachstum schaffen. 
Doch die Arbeitsgruppe befasst sich nicht nur mit nachhaltigen Alternativen für Beton-Zuschlagsstoffe. Noch wichtiger wäre es, den für den Beton nötigen Zement zu ersetzen. Die Zementherstellung setzt enorme Mengen an Treibhausgasen frei – rund acht Prozent der weltweiten CO₂-Emissionen gehen auf ihr Konto. Die TU-Fachleute verfolgen schon eine Idee: „Vielleicht lässt sich Asche als Zementersatz verwenden“, hofft Mahsa Doostdar. „Das ist etwas, was wir uns in Zukunft näher ansehen wollen.“

Symbolfoto Beton
Foto: Pixabay

Das EU-Projekt CIRCuIT (Demonstrating systemic urban development for circular and regenerative cities) startete 2019 und lief vier Jahre lang. Das Ziel war, innovative Lösungen für die Kreislaufwirtschaft im Bausektor zu finden. An dem Projekt nahmen die Städte Hamburg, Kopenhagen, Helsinki und London teil. Das Team der Hansestadt konzentrierte sich auf die Herstellung von hochwertigem Recyclingbeton. Beteiligt waren die TU Hamburg, die Stadt Hamburg, das Beratungsbüro e-hoch-3 sowie die Firmen OTTO DÖRNER GmbH & Co. KG, OTTO WULFF Bauunternehmung GmbH und EGGERS Tiefbau GmbH.

Weitere Informationen:

https://www.circuit-project.eu/