Was haben Flugzeugturbinen und Hüftimplantate gemeinsam? Man kann sie mit einem 3D-Drucker herstellen. An der Technischen Universität Hamburg wird fortlaufend zu dem Verfahren geforscht. Die Erkenntnisse stecken auch in einer völlig neuen Generation von Schuhen.
Hin und her bewegt sich die Düse, hin und her und hin und her. Jede Bewegung trägt eine neue Schicht aus rotem, blauem oder orangefarbenem Kunststoff auf. Am Ende wird ein Schuh draus – der aber nicht aussieht wie ein Schuh. Zumindest nicht wie einer, den man kennt. Sondern eher wie etwas aus einem futuristischen Comic, das in die wirkliche Welt gebeamt worden ist und da jetzt auf einen echten Fuß gezogen werden kann. Da am Fuß fühlt es sich auch nicht an wie ein normaler Schuh, sondern weich und knautschig, die Schritte federn, und jeder Schuh ist ein einziger Block aus demselben weichen, komplett recyclebaren Kunststoff. Maßgefertigt ist er auch. Eine völlig neue Generation Schuh.
Das Besondere an den Schuhen der Firma Zellerfeld mit Sitz in Hamburg-Stellingen: Sie kommen aus dem 3D-Drucker. Gedruckt in Hamburg und bald auch in Austin, Texas. Zellerfeld stockt auf, wegen der großen Nachfrage, aus jetzt rund 200 Druckern sollen bald 2000 werden. Fachlich unterstützt wird Zellerfeld dabei von der Fraunhofer-Einrichtung für Additive Produktionstechnologien (Fraunhofer IAPT) in Bergedorf. Gemeinsam mit der Technischen Universität Hamburg (TUHH) forscht das Fraunhofer IAPT fortwährend an der Weiterentwicklung des 3D-Drucks und treibt dessen Industrialisierung voran. Die Ergebnisse der Forschung stecken zum Beispiel in immer leichteren Bauteilen für Flugzeuge, in medizinischen Implantaten - und in den Schuhen der Zukunft.
Additive Produktion oder Additive Fertigung ist nichts anderes als ein Synonym für 3D-Druck. Dabei entsteht ein Produkt, indem ein Werkstoff aufgetragen, also hinzugefügt wird – im Gegensatz zu Verfahren, bei denen Material abgetragen wird, um das Produkt herauszuarbeiten, etwa beim Fräsen. Darum gibt es auch nahezu keinen Abfall. Und: „Bei der Additiven Fertigung haben Sie nur da Material, wo es gebraucht wird“, erklärt Dirk Herzog, Oberingenieur am TU-Institut Industrialisierung smarter Werkstoffe, das eng mit dem Fraunhofer IAPT verzahnt ist. Er kümmere sich an der TU „um die Forschungs-Roadmap“, beschreibt Herzog seinen Job. Und er kann sehr anschaulich erklären, an was da so geforscht wird. Mit dem Material, das nur da sitzt, wo es gebraucht wird, meint er: Wo kein Material wie Metall oder Kunststoff nötig ist, um zum Beispiel sicherzustellen, dass ein Teil stabil ist, kann es beim 3D-Druck einfach weggelassen werden, zugunsten eines Hohlraums. Dadurch entsteht, anders als bei einem Vollteil, eine filigrane Struktur.
So braucht man weniger Material für ein Teil (kostengünstiger!), und es wird leichter. Wie etwa die Teile von Flugzeug-Triebwerken, die nach einem an der TU weiterentwickelten Verfahren „gedruckt“ werden. Herzog: „Mit jedem Kilo weniger Gewicht braucht ein Flugzeug weniger Treibstoff.“ Was als Beitrag zur Nachhaltigkeit verbucht werden kann.
Fertigt ein Drucker ein Hüftimplantat in filigraner Gitterstrukur, kann das menschliche Gewebe nach dem Einsetzen besser ins Implantat einwachsen, die künstliche Hüfte hält so besser und länger. „Diese filigranen Strukturen lassen sich mit keinem anderen Verfahren herstellen“, betont Dirk Herzog. Und man kann so eben auch supermoderne Schuhe erschaffen, bei denen die Gitterstruktur in der Kunststoffsohle dafür sorgt, dass der Schuh bei jedem Schritt schön federt.
„3D-Druck gibt es natürlich schon länger“, erklärt Herzog bei einem Rundgang durch die große Halle des Fraunhofer IAPT, wo die unterschiedlichsten Typen von 3D-Druckern von klein bis riesengroß nebeneinander stehen, sowohl für metallischen 3D-Druck als auch für den mit Kunststoff: „Aber es hat lange an der industriellen Umsetzbarkeit gemangelt.“ Das Interesse sei schon vorhanden gewesen, aber auch „ein fehlendes Verständnis für die Möglichkeiten und Grenzen“. An der TU habe man den Transfer-Gedanken, also den Gedanken, Forschung wirtschaftlich nutzbar zu machen, schon früh in die Lehre mit einbezogen: „Bei unseren Absolvent*innen ist ein Grundverständnis dafür vorhanden, wie und wo man die Additive Fertigung einsetzen kann.“ Der 3D-Druck wird an der TU stetig weiterentwickelt, „immer mit dem Ziel einer breiten industriellen Anwendbarkeit“. Mittlerweile heißt das Institut folgerichtig Industrialisierung smarter Werkstoffe. Anfangs wurde am Institut für Laser- und Anlagensystemtechnik (iLAS) gedruckt. Bis April dieses Jahres bestanden beide Institute an der TUHH parallel. 2009 gründete sich aus dem iLAS das Laserzentrum Nord (LZN) aus, eine GmbH, die Beratung zur Additiven Produktion sowie industrienahe Forschung anbot. 2018 ist das LZN ins Fraunhofer IAPT überführt worden.
Das Fraunhofer IAPT berät das Schuh-Start-up Zellerfeld seit rund drei Jahren. Zellerfeld nutzt für seine Produktion noch weitere Vorteile des 3D-Drucks. Weil die Drucker für jeden Schuh problemlos neu eingestellt werden können, kann jeder Schuh maßgefertigt werden, anhand eines Scans, den die Kundin oder der Kunde zuhause mit einer App erstellt. Auf der Website kann man wählen, ob man seinen Fuß scannen möchte oder „eine alte Standard-Größe“ bestellt – „langweilig“ steht in Klammern hinter dieser Option, was sehr schön zeigt, was den Reiz der Zellerfeld-Pioniere ausmacht: Das ganze Verfahren ist hip und neu und macht Spaß und soll Schuhekaufen auf den Kopf stellen.
Wer sich zum Designer berufen fühlt, kann seine eigenen Entwürfe drucken und über die Website vertreiben. Da jedes Paar Schuhe on demand gefertigt wird, gibt es keine Überproduktion, am Ende einer Saison muss nichts verramscht oder vernichtet werden, und große Lagerhallen braucht auch niemand: Die Schuhe werden nach Fertigstellung direkt an die Kund*innen verschickt. Vom Scannen des eigenen Fußes an dauert es zur Zeit etwa drei bis vier Wochen, bis die Wunsch-Schuhe zu Hause im Briefkasten landen, so lange muss man sich gedulden. Popstar Justin Bieber, US-Rapper Post Malone oder der deutsche Rapper Cro nehmen die Wartezeit in Kauf, sie alle tragen Zellerfeld. Cro hat, ebenso wie der amerikanische Künstler und Designer Heron Preston oder das Team von Hugo Boss, auch schon selbst welche entworfen, alle über Zellerfelds Website bestellbar. Zwischen 130 und 325 Euro kostet ein Paar.
Rund 24 Stunden braucht es, bis ein einzelner Schuh fertig gedruckt ist. Zellerfeld arbeitet daran, den Prozess weiter zu verkürzen – mit Unterstützung des Fraunhofer IAPT. Das Material ist sogenanntes TPU, thermoplastisches Polyurethan, ein Kunststoff, der bei Erwärmung verformbar ist und nach dem Abkühlen seine Form behält. Das TPU ist wie ein dicker Kunststoff-Faden auf eine Rolle gewickelt. Der Drucker nimmt den Faden, Filament genannt, von der Rolle und führt ihn durch eine Düse, in der der Stoff geschmolzen wird. Und jetzt wird er wieder und wieder, Schicht für Schicht, aufgetragen, entsprechend dem am Computer erstellten Design. Bis der Schuh fix und fertig ist.
Kann eigentlich jeder 3D-Begeisterte zu Hause mit dem eigenen Drucker Schuhe drucken? „Wenn Sie das richtige Gerät haben, können Sie das versuchen“, sagt Dirk Herzog: „Sie werden nur nicht diese Qualität erreichen.“