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Auf dem Weg zur Bioraffinerie

Forschende: Prof. Martin Kaltschmitt, Monica Cornejo Infante

Bei der Herstellung von Bioethanol lassen sich aus Reststoffen wertvolle Proteine für die Ernährung gewinnen.

Mit Schwung wuchtet Monica Cornejo zwei weiße Plastikeimer auf einen Tisch in ihrem Labor. Dann öffnet sie die Deckel und zeigt auf den Inhalt: Beide Eimer enthalten ein schlichtes, grobes Pulver. Das eine ähnelt sandigem Lehm, das andere ist körniger und dunkler – beide sind Rückstände aus einer Bioethanol-Fabrik. TU-Forscherin Cornejo will herausfinden, wie sich aus den braunbeigen Krümeln wertvolle Inhaltsstoffe abtrennen lassen: Proteine für die menschliche Ernährung.

Die Weltbevölkerung wächst nach wie vor und die Nachfrage nach proteinreicher Ernährung nimmt überproportional dazu zu. Diesen stark steigenden Bedarf durch tierische Proteine wie Milch und Fleisch zu decken, ist herausfordernd. Denn Jahr für Jahr gehen, nicht zuletzt durch den Klimawandel, große Flächen an fruchtbarem Ackerland verloren. Deshalb sucht die Fachwelt verstärkt nach bislang ungenutzten Proteinquellen pflanzlichen Ursprungs. Mit dem Projekt „BioProHuman“ nimmt das Institut für Umwelttechnik und Energiewirtschaft (IUE) der TU Hamburg nun die Rückstände aus der Bioethanol-Produktion ins Visier.

Allein in Deutschland werden pro Jahr knapp 700.000 Tonnen Bioethanol hergestellt. Als regenerativer Treibstoff wird er Benzin beigemischt, um die CO2-Emissionen von Autos zu senken. Als Rohstoff für die Herstellung dient bisher in Europa vor allem Getreide wie beispielsweise Weizen. Nachdem es gemahlen wurde, wird es mit Wasser vermengt und unter Zugabe von Enzymen leicht erwärmt. Dadurch wird die Stärke aus dem Getreidekorn in Zucker umgewandelt. Die so erzeugte Zuckerlösung kann mithilfe von Hefekulturen zu Ethanol vergoren werden. Dieser wird anschließend aus dieser Fermentationsbrühe per Destillation abgetrennt. Zurück bleibt die sogenannte Schlempe. Das ist eine wässrige Stoffmischung, die unter anderem Nährstoffe, organische Komponenten, nicht fermentierte Zucker und eben auch Proteine enthält, die sowohl aus dem verarbeiteten Getreide als auch aus der Hefe stammen.

Proteinreiche Rückstände

Erstaunlich ist die Menge an anfallender Schlempe: Bei der deutschen Jahresproduktion von knapp 700.000 Tonnen Bioethanol entstehen rund sieben Millionen Tonnen davon. Zum Teil wird sie heute schon genutzt – für Biogasanlagen zur Biomethanerzeugung oder als Tierfutter. Ließen sich bestimmte wertvolle Proteine aus dieser Masse in einer konzentrierten Form abtrennen, könnten sie gezielt zur menschlichen Ernährung eingesetzt werden und dadurch zur verbesserten Versorgung der Bevölkerung mit veganen Proteinen und auch zu einer höheren Wertschöpfung der vorhandenen Bioethanol-Bioraffinerien beitragen.

In einem Vorgängerprojekt ist es den Forscherinnen und Forschern des IUE der TU Hamburg bereits gelungen, Proteine aus sogenannter Dünnschlempe zu isolieren. So heißt der relativ dünnflüssige Teil der insgesamt anfallenden Schlempe, der sich mithilfe von sogenannten Dekanterzentrifugen abtrennen lässt. Ein hoher Anteil der dort vorhandenen Proteine befindet sich aber in den dort enthaltenen Feststoffen. „Die Proteine aus diesen Rückständen abzutrennen und in einer angereicherten Form zu gewinnen, ist das primäre Ziel unseres Projekts“, betont Monica Cornejo.

Die Herausforderung: Die Feststoffrückstände der Schlempe enthalten eine Vielzahl weiterer, an dieser Stelle unerwünschter Komponenten – unter anderem Lignin, das die Struktur und Stabilität der Pflanzen gewährleistet. Es fungiert für die abzutrennenden Proteine als eine Art Käfig. „Um an diese Proteine heranzukommen, müssen wir diese Käfige erst mal aufschließen“, erläutert die Forscherin. „Das ist zwar mit Hilfe bestimmter Chemikalien möglich, aber wir setzen lieber auf schonendere, umweltfreundlichere Methoden.“

Proteine mittels Hydrolyse verflüssigen

Das eine von ihr untersuchte Verfahren heißt hydrothermische Hydrolyse. Dabei werden die Feststoffrückstände unter hohem Druck mit heißem Wasser behandelt – mit dem Ziel, die darin enthaltenen Proteine in die Flüssigphase zu überführen, um sie anschließend daraus gezielt isolieren zu können. Der andere Ansatz ist die enzymatische Hydrolyse: Hier kommen Enzyme, also Biokatalysatoren, zum Einsatz, mit denen die Proteine aus den Lignin-Käfigen herausgelöst werden. Im Laufe ihres Projekts möchte Monica Cornejo systematisch beleuchten, bei welchen Parametern beide Methoden am besten funktionieren und wie sie sich am günstigsten unter technischen, ökonomischen und ökologischen Kriterien kombinieren lassen.

In der ersten Projektphase hat sie bereits festgestellt, wie es um den Proteingehalt verschiedener Feststofffraktionen bestellt ist. Dazu nutzt sie aufwendige Analysemethoden wie die Hochleistungsflüssigkeitschromatografie (HPLC). Im Labor klappt Cornejo den Deckel des Geräts auf. Zu sehen ist die HPLC-Säule, nur wenig größer als ein Kugelschreiber. Eine Pumpe treibt eine Lösung aus hydrolysierten Schlempe-feststoffen durch diese Säule. Sie ist mit einem speziellen Material gefüllt, das als stationäre Phase bezeichnet wird. Verschiedene Moleküle in der durchströmenden Lösung interagieren unterschiedlich stark mit dieser stationären Phase. Je nach ihren chemischen Eigenschaften, etwa Polarität und Größe, werden die Moleküle daher verschieden stark zurückgehalten. Dadurch verlassen sie die Säule zu unterschiedlichen Zeiten.

Damit lassen sich die Aminosäuren der Lösung abtrennen und präzise bestimmen. Monica Cornejo deutet auf ein Diagramm auf dem Bildschirm. Es zeigt, welche Aminosäuren – die Bausteine der Proteine – besonders oft vorkommen. „Unter anderem haben wir festgestellt, dass Schlempefeststoffe aus Weizen einen deutlich höheren Proteingehalt besitzen als solche aus Mais, wie er insbesondere in den USA zur Ethanol-Erzeugung genutzt wird.“

Basis für Proteinriegel

Das Projekt BioProHuman endet im Herbst 2026. Laufen die Experimente erfolgreich, könnte danach das aus den Analysen zu entwickelnde Verfahren gemeinsam mit der Industrie in die Praxis überführt werden. Die Idee: „Eine derartige Proteinabtrennung soll nach Möglichkeit in die vorhandenen Bioethanol-Fabriken integriert werden“, hofft Prof. Martin Kaltschmitt, Leiter des IUE. Dadurch ließe sich auch eine weitergehende Wärmeintegration aus der Destillation für diesen Abtrennprozess nutzen; dies könnte helfen, Energie und Geld zu sparen. Dadurch würde die Ethanol-Fabrik zu einer Bioraffinerie weiterentwickelt werden, die nicht nur Kraftstoff herstellt, sondern auch Proteine für die Humanernährung. Die noch verbleibenden organischen Rückstände könnten dann in einer nachgeschalteten Biogasanlage zu Biomethan und einem Dünger weiterverarbeitet werden. Das bedeutet: Im Idealfall würde alles verwertet und nichts verschwendet werden.

Die gewonnenen Proteine jedenfalls ließen sich in einer Vielzahl von Lebensmitteln verwenden, etwa in Proteinshakes und -riegeln für Sporttreibende. Zudem könnten sie als Basis für Fleischersatzprodukte dienen: Vegane Würstchen, Schnitzel oder Käsesorten sind trendy, der Markt dafür wächst. „Gelingt unser Projekt, könnte es nicht nur die Proteinver­sorgung verbessern, sondern auch zeigen, dass sich Energie- und Nahrungsmittelproduktion nicht gegenseitig ausschließen, sondern Hand in Hand gehen können“, hofft Monica Cornejo. Dann könnte es künftig nicht mehr „Tank oder Teller“ heißen,  sondern „Tank und Teller“.

Weitere Informationen

Institut für Umwelttechnik und Energiewirtschaft (IUE)

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