Forschende der TU Hamburg untersuchen neue Verfahren, mit denen sie durch den Einsatz von Enzymen komplexe Kohlenhydrate und hochwertige Proteine schonend aus den Wasserpflanzen extrahieren, um damit neue Produkte für den Futter- und Lebensmittelmarkt herzustellen.
Vom Strandspaziergang kennt man sie: angespülte Algen säumen nicht selten den Übergang vom Wasser zum Strand. Ob grün oder braun die Wasserpflanzen finden sich dort in den unterschiedlichsten Varianten. Von Wissenschaftler*innen werden sie auch als Makroalgen bezeichnet, um den Gegensatz zu einzelligen Mikroalgen zu verdeutlichen. An der Technischen Universität Hamburg haben sich Dr. Ana Malvis Romero und ihre Projektpartner*innen drei Jahre lang verschiedene Algen ganz genau angeguckt: „Makroalgen sind fantastisch – sie stecken voller wertvoller Inhaltsstoffe wie Proteine und Kohlenhydrate“, sagt die Forscherin. Sie ist seit 2020 am Institut für Technische Biokatalyse tätig und übernahm die Leitung des Projekts „Novel products from marine resources“. Gemeinsam mit fünf Studierenden untersuchten sie das Potenzial der Wasserpflanzen.
Im Projekt verfolgten die Wissenschaftler*innen des Instituts unter der Leitung von Prof. Andreas Liese und vom Institut für Umwelttechnik und Energiewirtschaft, das von Prof. Martin Kaltschmitt geführt wird, ein gemeinsames Ziel: besonders nährstoffreiche Algensorten zu identifizieren und ein effektives Verfahren zur Extraktion der wertvollen Inhaltsstoffe zu entwickeln. Gleichzeitig diente der interdisziplinäre Ansatz den Forschenden dazu, mithilfe unterschiedlicher Verfahrensweisen komplexe Kohlenhydrate, wie Ulvan und Alginat sowie vollwertige Proteine aus den Wasserpflanzen zu extrahieren. Alginat wird in der Medizin bei der Herstellung von Verbandsmaterial benötigt, da man daraus ein Gel herstellen kann, das die Wundheilung begünstigt. Mit Ulvan können Lebensmittel angereichert werden.
„Unsere ersten Algenproben erhielten wir von einem Unternehmen nahe Rostock, das uns von Beginn an als Partner unterstützte. Die Mitarbeitenden sammelten die Algen am Strand. Doch im Labor stellten wir schnell fest, dass diese Pflanzen für unsere Untersuchungen ungeeignet waren. Die Algenmasse war beispielsweise mit Muscheln vermengt.“, erklärt Romero. Deshalb suchte sie nach Alternativen und wurde nach einer Internetrecherche in Portugal fündig. Sie fand ein Unternehmen, das seine Algen unter kontrollierten Bedingungen in Wassertanks auf dem Land kultiviert, genau das, was sie brauchten.
„Das ist ein großer Vorteil für unsere Forschung. Wir beziehen die Algen direkt vom Hersteller und wissen durch die Produkt- und Inhaltsangaben genau, welche Nährstoffe jede Algen-sorte enthält. So konnte ich spezifische Arten von Rot-, Grün- und Braunalgen bestellen“, erzählt Romero. Jede dieser Algenarten unterscheidet sich nicht nur in ihrer Farbe, sondern auch in der Konzentration ihrer Nährstoffe. „Die Rotalge (Porphyra dioica) hat einen hohen Proteingehalt. Bei der Grünalge (Ulva fenestrata) findet sich eine hohe Menge Ulvan und bei der Braunalge (Phaeophyta Fucus vesiculosus) Alginat – beides wertvolle Polysaccharide“, erklärt Ana Malvis Romero. Polysaccharide sind komplexe Kohlenhydrate, die auf dem Lebensmittelmarkt und in der Medizin eine wichtige Rolle spielen.
Um die drei ausgewählten Algensorten unter denselben Bedingungen im Labor zu testen, bekommen die Algen zunächst ein sogenanntes Pretreatment – eine Vorbehandlung. Es ist ein bisschen so, als würden die Pflanzen in der Küche verarbeitet – Romero bringt leistungsstarke Geräte zum Einsatz, die Küchenutensilien ähneln: „Wir bekommen die Algen in getrockneter Form aus Portugal geliefert, holen die Blätter aus der Kiste und geben sie in einen Labormixer, der sie pulverisiert.“ Das fertige Algenpulver wird anschließend mit flüssigem Stickstoff, übergossen, der minus 196 Grad Celsius kalt ist. Die extreme Kälte bricht die Zellwände auf und die wertvollen Inhaltsstoffe der Algenzellen werden freigesetzt. Die Zellwände sind besonders widerstandsfähig, da sich die Alge so vor den extremen Umweltbedingungen im Meer schützt. „Das Ergebnis zerstampfen wir schließlich mit einem Mörser, wie man es auch mit Gewürzen macht, – und voilà, das Algenextrakt ist für den nächsten Verarbeitungsschritt bereit“, erklärt die Biotechnologin.
Anschließend testeten die Forschenden im Labor drei verschiedene Methoden zur Extraktion der Inhaltsstoffe, um herauszufinden, welche am besten für die jeweils ausgewählte Algen-sorte geeignet ist. Sie setzten mechanische, hydrothermale und enzymatische Verfahren ein: „Bei der mechanischen Extraktion fügen wir das Algenextrakt in einen wassergefüllten Glasbehälter, in dem sich ein Ultraschall-Homogenisator befindet – diesen kann man sich ein bisschen wie einen Pürierstab vorstellen. Im Betrieb erzeugt er hochfrequente Schwingungen. Der entstehende Ultraschall löst die Inhaltsstoffe aus dem Extrakt. „Bei der hydrothermalen Methode platzieren wir das Extrakt in einer Labormikrowelle. Die elektromagnetischen Wellen erzeugen Wärme und sollen so die Inhaltsstoffe herauslösen“, sagt die Algenexpertin.
Je nach Ziel waren die eingesetzten Methoden für die unterschiedlichen Algen mehr oder weniger effektiv. Bei der enzymatischen Methode spalten Protease-Enzyme die Proteine und zerlegen sie in ihre kleineren Bestandteile. Dabei handelt es sich um Peptide, die wiederum aus Aminosäuren bestehen. Die einzelnen Peptide und Aminosäuren eignen sich sowohl für den Einsatz in Nahrungsergänzungsmitteln, als auch für die Anreicherung bei bereits vorhandenen Lebensmitteln oder für die Konzeption gänzlich neuer pflanzenbasierter Produkte für den Lebens- und Futtermittelmarkt.
„Das Potenzial für ein Folgeprojekt sehen wir vor allem in der enzymatischen Extraktion von Algenproteinen, also den Peptiden und Aminosäuren aus der Rotalge Porphyra dioica. Diese könnten auf dem Lebensmittel- und Futtermittelmarkt vielseitig verarbeitet werden – insbesondere als hochwertige Proteinquelle, die mit tierischem Protein gleichwertig ist“, sagt Ana Romero. Die Wissenschaftlerin vertraut auf das Potenzial der von Badeliebhabern und Strandspaziergängern meist wenig beachteten Wasserpflanze. Sie ist begeistert von der Algenforschung und kann sich noch viele weitere Projekte vorstellen: „Es existieren unvorstellbar große Mengen, die wir verwerten können – wenn ich am Strand spaziere, sehe ich all das ungenutzte Potenzial, das die Meere uns Tag für Tag bereitstellen – wir müssen es nur effektiv nutzen!“, ist sich die Forscherin sicher.
Dr. Ana Malvis Romero forscht am Institut für Technische Biokatalyse von Prof. Andreas Liese und leitete das Projekt „Novel products from marine resources“. Es fand im Rahmen eines I³-Programms der TU Hamburg statt, das eine interdisziplinäre Zusammenarbeit von vier erfahrenen Wissenschaftler*innen über vier Jahre vorsieht.