
Ein vierköpfiges, interdisziplinäres Team arbeitet an einer hauchdünnen Beschichtung, die den Stahlbau revolutionieren könnte. Dieses „Nanopflaster“ aus Nickel und Kupfer verlängert die Lebenszeit zum Beispiel von Offshore-Windparks um ein Vielfaches. Das Projekt vereint Grundlagenforschung und hohe praktische Relevanz.
In Deutschland gibt es knapp 40.000 Brücken mit einer Gesamtlänge von über 2000 Kilometern. Viele von ihnen aus Stahl oder mit Stahlbauteilen. Dazu kommen knapp 30.000 Windenergieanlagen an Land („onshore“) und gut 1600 in Nord- und Ostsee („offshore“). Wind und Wellen, Temperaturschwankungen und Vibrationen – über Jahrzehnte wirken viele zyklische Belastungen auf das Material ein. An ermüdungskritischen Stellen, oft entlang der Schweißnähte, entstehen lokal winzige Risse. Mit der Zeit wachsen sie, bis die Konstruktion saniert oder ersetzt werden muss. In Deutschland summieren sich solche Fälle zu einem Sanierungsstau in Milliardenhöhe.
An der TUHH entwickelt deshalb ein interdisziplinäres, internationales Team unter Prof. Marcus Rutner, Leiter des Instituts für Metall- und Verbundbau, eine hauchdünne Beschichtung, mit deren Hilfe sich die Haltbarkeit von Schweißnähten vervielfachen ließe.
„Wir beschichten die Oberfläche mit einem Multilayer aus Nickel- und Kupferschichten, deren einzelne Lagen nur wenige Nanometer dick sind“, erklärt Saeid Sarafrazian, einer der Materialwissenschaftler im Team – ein Nanometer ist ein Milliardstel Meter. Das „Nanopflaster“ besteht aus alternierenden harten Nickelschichten und weicheren Kupferschichten. Jede Doppelschicht ist nur etwa 50 Nanometer dünn; in Summe entsteht eine wenige Mikrometer dicke Beschichtung, die gezielt an den ermüdungskritischen Stellen entlang von Schweißnähten aufgetragen wird. Die jeweils optimale Vorgehensweise modelliert Bauingenieurin Veronika Eggert im numerischen Modell.
„Die geschweißte Verbindung ist oft die kritischste Position einer Stahlkonstruktion“, erklärt Maren Seidelmann, ebenfalls Bauingenieurin. „Hier treffen unterschiedliche Spannungen, Materialstrukturen und Geometrien aufeinander. Risse entstehen fast immer zuerst an der Naht.“ Seidelmann arbeitet derzeit daran, eine Methode für die Applikation des Nanopflasters am Baubestand direkt vor Ort zu entwickeln: „Wir können die Elektrolytlösung in einem Container an die jeweilige Stelle bringen und dort galvanisch beschichten.“
Im Labor hat sich gezeigt, dass das Verfahren erstaunlich effektiv ist. Bei Proben aus Baustahl ermittelten die Forschenden eine drei- bis sechsmal längere Lebensdauer im Vergleich zu unbehandelten Schweißnähten. „Wir haben die Wirkung an standardisierten Proben nachgewiesen und konnten auch zeigen, dass die Streuung der Ergebnisse geringer ist als bei anderen Verfahren“, sagt Mohammad Fazel, der zweite Materialwissenschaftler im Team. „Das bedeutet: Die Technologie ist nicht nur leistungsfähig, sondern auch verlässlich.“
Das ergaben nicht nur klassische Ermüdungsversuche, sondern auch visuelle Untersuchungen mit dem Elektronenmikroskop. So konnte mittlerweile auch die Wirkweise des Nanopflasters weitgehend geklärt werden.
Die außergewöhnliche Haltbarkeit entsteht durch ein Zusammenspiel mehrerer Mechanismen, wie Messungen im Deutschen Elektronen-Synchrotron (DESY) belegten:
Bislang beschichtet das Team standardisierte Proben von acht Millimetern Dicke. Der nächste Schritt ist die Übertragung auf großdimensionierte Bauteile. „Wir wollen zeigen, dass das Verfahren auch bei 80 Millimeter dicken Offshore-Strukturen funktioniert“, so Sarafrazian. Die entsprechenden Tests finden mit knapp zwei Meter langen, 360 Kilogramm schweren Proben statt. Solche Dimensionen sind typisch für Monopfähle, die riesigen Stahlrohrfundamente von Windenergieanlagen. Sie haben Umfänge bis zu 30 Metern und sind besonders anfällig an den ringförmigen Schweißnähten.
Offshore-Windparks sind besonders beansprucht, da nicht nur mechanische Kräfte auf die Struktur einwirken, sondern das Salz im Meerwasser zudem zu Korrosion führt. Die Lebensdauern von Windenergieanlagen betragen nur 25 Jahre. Daher ist hier der Bedarf für eine lebensverlängernde Maßnahme am größten. Denn nicht nur die Kosten von Wartung und Sanierung stellen einen Problemfaktor dar, es fehlt auch Fachpersonal. Jedes weitere Jahr des Betriebs über die ursprüngliche Lebensdauer hinaus erleichtert somit den Umstieg auf erneuerbare Energien erheblich.
Wenn eine Brücke statt 100 vielleicht 150, 200 oder auch 400, 500 Jahre hielte – das spart nicht nur große Summen Kapital, sondern auch viel Energie und zeigt ein hohes Maß an Rohstoffeffizienz.
Beispielhaft zeigt die Berechnung für eine 15-Megawatt-Windenergieanlage den Effekt. Wenn alle ringförmigen Schweißnähte eines Monopfahles mit Nanolaminaten behandelt würden, könnte die Konstruktion um 28 % leichter ausgeführt werden, weil die bisher maßgebende Ermüdungsanfälligkeit der Nähte entfällt. Gleichzeitig verlängert sich die Lebensdauer der Anlage auf das Drei- bis Sechsfache.
Das bedeutet weniger Materialeinsatz und zugleich einen deutlich geringeren CO₂-Fußabdruck bei Herstellung und Wartung – ein zentraler Hebel für den Klimaschutz. Denn weltweit ist die Stahlindustrie für etwa acht Prozent der globalen CO2-Emissionen verantwortlich.
Ziel ist es, das Verfahren zu zertifizieren, so dass der Transfer in die Industrie möglich wird. „Wir wollen einen Beitrag leisten, um den Stahlbau nachhaltiger zu machen“, sagt Rutner. „Wenn es gelingt, ermüdungskritische Stellen verlässlich und kostengünstig mit einem Nanopflaster zu schützen und die Konstruktion langlebiger zu machen, wäre das ein Paradigmenwechsel im Offshore- und Ingenieurbau: Eben Engineering to Face Climate Change.“
Das Projekt läuft über drei Jahre und wird vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie mit 2,2 Millionen Euro finanziert. Verbundpartner sind der Monopfahlhersteller Steelwind Nordenham, die JBO Engineering Group sowie die Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung; Assoziierte Partner sind die AG der Dillinger Hüttenwerke, Salzgitter Mannesmann Forschung, Siemens Gamesa Renewable Energy, Vestas Wind Systems, EnBW, RWE und TÜV Süd. Veröffentlichungen sind bereits in „Scientific Reports“ , „Scripta Materialia“ sowie in der Zeitschrift „Stahlbau“ erschienen.