März 2021, Suezkanal: Die „Ever Given“, eines der weltweit größten Containerschiffe, läuft am Ufer auf Grund, verkeilt sich und blockiert die Wasserstraße. In der Folge stauen sich auf beiden Seiten des Kanals mehr als 300 Frachtschiffe. Millionen Tonnen an Waren – von Elektronik bis Kleidung – kommen nicht an ihr Ziel. Die Wiederflottmachung wird zum Spektakel: Mit Schleppern, Baggern und der Unterstützung einer Springflut gelingt es nach sechs Tagen, den 400-Meter-Riesen zu befreien. Der wirtschaftliche Schaden geht in die Milliarden. Die Blockade zeigt, wie fragil internationale Lieferketten sind – und wie stark unsere Produktionssysteme von reibungslosen globalen Prozessen abhängen.
Die Episode war kein Einzelfall. Ein Jahr zuvor hatte Corona gezeigt, wie empfindlich moderne Wertschöpfungsketten reagieren können. „Während der Pandemie brachen viele Lieferketten auseinander“, erinnert sich Mohamed Osman vom Institut für Logistik und Unternehmensführung der TU Hamburg. Er arbeitet im Team von Prof. Thorsten Blecker und konzentriert sich gemeinsam mit seiner Kollegin Chema Abdennadher auf die Schnittstelle von Technologie und Geschäftsmodellen. „Einfache elektronische Bauteile oder mechanische Standardteile waren plötzlich nicht mehr verfügbar – und das brachte ganze Produktionen zum Erliegen.“
Netzwerk für Krisen aufbauen
Um besser mit solchen Unsicherheiten umzugehen, braucht es neue Ansätze. Hier setzt das EU-Forschungsprojekt MAASive an, bei dem die TU Hamburg mit der Aalborg University, der Politecnico di Milano und der École Centrale de Nantes zusammenarbeitet. Das Projekt will Wertschöpfungsnetzwerke krisenfester, flexibler und intelligenter gestalten – durch den Einsatz von digital vernetzten Fertigungsdiensten, sogenanntem Manufacturing as a Service. Im Falle eines Engpasses sollen Unternehmen nicht wochenlang nach neuen Lieferanten suchen müssen, sondern auf ein Netzwerk zugreifen können, das alternative Anbieter vorschlägt, passende Fertigungskapazitäten vermittelt und diese in die betrieblichen Abläufe integriert. Dies kann durch eine modulare Softwareplattform erreicht werden. Als Erstes programmierte das Forschungsteam ein digitales Tool als Basis für eine Fertigung auf Abruf. Es erfasst konstant verfügbare Produktionskapazitäten innerhalb eines Netzwerks. „Wenn eine Firma eine Fräsmaschine braucht oder kurzfristig Spritzgusskapazitäten benötigt, kann sie diese einfach über das System buchen“, erklärt Osman. „Das ist, als würde man Produktionsleistungen so einfach ordern können wie heute eine Fahrt bei einem Mobilitätsdienstleister.“
Mögliche Störungen werden simuliert
Doch MAASive reicht noch weiter. Parallel entwickeln die Projektpartner ein Simulations-Toolkit, mit dem Unternehmen mögliche Störungen durchspielen und ihre Produktionsabläufe auf Risiken testen können. Was passiert, wenn ein Zulieferer ausfällt? Wie stark trifft ein Transportverzug eine bestimmte Produktlinie? „Diese Simulation erlaubt es Unternehmen, ihre Resilienz nicht nur zu verbessern, sondern gezielt zu planen“, erläutert Osman. „Man könnte es als einen digitalen Stresstest für die Lieferkette bezeichnen.“
Der dritte Baustein ist eine Software zur „Network Orchestration“ – ein System, das für Transparenz sorgt und operative Entscheidungen unterstützt. Unter anderem geht es um die Priorisierung von Aufträgen, die Koordination zwischen mehreren Partnern oder die automatische Umverteilung von Aufträgen, wenn eine Störung auftritt. „Es reicht nicht zu wissen, wer produzieren kann“, erklärt Mohamed Osman. „Entscheidend ist, diese Kapazitäten in Echtzeit intelligent zu orchestrieren.“
