20.11.2025

Von schnellen Schuhen und schwerfälligen Regularien

3D-Druck: Future Lecture zeigt Chancen und Herausforderungen des Additive Manufacturing
Die Vortragenden der Future Lecture – Decarbonized Production of the Future:
Lennard Stoever, Präsident der Zellerfeld Shoe Company Inc., Prof. Ingomar Kelbassa, Leiter des Fraunhofer IAPT in Hamburg und Professor für die Industrialisierung smarter Materialien an der TU Hamburg (mitte) und Prof. Frank Piller, Professor für Management am Institut für Technologie- und Innovationsmanagement, RWTH Aachen

Wie kann die Produktion der Zukunft dekarbonisiert werden? Erstmals kamen bei einer Future Lecture gleich drei Speaker auf die Bühne, um das Schwerpunktthema möglichst in all seinen Facetten zu beleuchten. Additive Manufacturing (AM), umgangssprachlich auch 3D-Druck genannt, lautete das zentrale Stichwort der zehnten Ausgabe der Future Lectures am 19. November im Audimax 2 der TU Hamburg. Wo steht diese Technik aktuell, was kann sie - auch im Hinblick auf eine nachhaltigere Industrie, und was sind Herausforderungen oder Bremsen?

Was Mars-Mission und Turnschuh gemein haben

Einen umfassenden Einblick in den aktuellen Stand des Additive Manufacturing bot Prof. Ingomar Kelbassa, Leiter des Fraunhofer IAPT in Hamburg und Professor für die Industrialisierung smarter Materialien an der TUHH. Er nahm das Auditorium mit durch ein beeindruckendes Anwendungsspektrum aktueller Einsatzbereiche des 3D-Drucks – von der Mars-Mission über Life-Science und Automobilindustrie bis hin zum lokal produzierten Sneaker. Anhand konkreter Fälle zeigte er die Vorteile und damit die Zukunftsfähigkeit der additiven Technologie auf – sowohl hinsichtlich Produkt-Qualität, als auch Produktionszeit, Kosten und Nachhaltigkeit. „3D-Druck ist ein Schlüsselfaktor für Teile und Komponenten der nächsten Generation, die den Wandel vorantreiben“, so Kelbassa. In zehn bis 15 Jahren sei aus seiner Einschätzung gar „Bio-Printing“, also das Drucken von Organen möglich, theoretisch zumindest.

„Wir sind immer noch am Anfang“

Einen rasanten geschichtlichen Abriss über die „3D-Druckerei“ gab Prof. Frank Piller von der RWTH Aachen, der als einer der führenden Wissenschaftler Europas im Bereich digitaler industrieller Transformation gilt. Er diskutierte, welche Faktoren die Skalierung, Diffusion und langfristige Annahme von Technologien beeinflussen und verdeutlichte: „Wir sind immer noch am Anfang“. Die Vision einer lokalen, dezentralen Produktion habe es schon vor zwanzig Jahren gegeben. Der Sprung von den „early adoptern“ über den Graben zur „early majority“ sei nicht geschafft, kaum eine Privatperson besitze einen 3D-Drucker, der Kostenfaktor sei immer noch hoch – und werde dem erwarteten Vorteil kritisch gegenübergestellt. Die Zögerlichkeit zeige sich auch in der Industrie. Zwar hätten viele Firmen angekündigt, auf AM umzustellen, es dann aber nicht umgesetzt. Zukunft unbekannt. Ein Fehler, wie Piller mit Blick auf seine Schuhe, ein 3D-gestricktes Modell, findet. 60% aller hergestellten Schuhe gefalle oder passe den Konsumenten nicht, während hochgefragte Modelle ausverkauft seien. Eine 3D-Produktion könne da schnelle Abhilfe schaffen und sei insbesondere für lokale Märkte individualisierbar und erfolgsversprechend.

Auf den Schuh gekommen

Der dritte Redner dieser Future Lecture Lennard Stoever, Mitbegründer und Präsident der Zellerfeld Shoe Company Inc., kam auf knallrot federnden Sohlen daher und leitete so zum eigentlichen Helden des Abends über: komplett 3D-gedruckte Sneaker, made in Hamburg. Vor allem um den Aspekt der Nachhaltigkeit sei es ihm bei der Gründung gegangen. Denn jährlich werden Billionen von Schuhen produziert, von denen ein hoher Anteil ungetragen in Verbrennungsanlagen landet. Nach Schätzungen (zum Beispiel Greenpeace) bewegt sich der Anteil  bei rund 30 Prozent, andere sprechen von über 90 Prozent (Wirtschaftswoche) aller produzierten Schuhe. „Weniger Müll beginnt damit, keinen Müll zu produzieren“, hebt Stoever einen wesentlichen Vorteil des AM hervor. So könne bei AM immer on demand gefertigt werden, Überproduktion wäre damit ausgeschlossen. Das rote Modell an seinen Füßen ist in Kooperation mit Nike entstanden. Der Hype um die recyclebaren, an den eigenen Fuß anpassbaren Sneaker aus einem Guss ist mittlerweile so groß, dass Stoever und sein Team dringend expandieren müssen, möglichst dezentral und nah am Kunden. Die Vision: eine wirklich zirkuläre Plattform – für weit mehr als Schuhe, um mit der Kombination von Design und Nachhaltigkeit ein besseres System für Erde und Konsumenten zu schaffen.

Auf die Frage von Moderatorin und Vize-Präsidentin für Forschung an der TUHH, Irina Smirnova, was bei all dem Innovations- und Nachhaltigkeitspotential der AM-Technologie, denn die größte Herausforderung für die Wissenschaft sei, sind die drei Redner sich einig: Systematische Veränderungen sind notwendig, sowohl innerhalb der Unternehmen als vor allem auch bei den schwerfälligen Regularien und Gesetzen in Deutschland, die oft für jahrelange Verzögerungen sorgen.

Frau Prof. Smirnova spricht am Podium
Professorin Irina Smirnova, Vizepräsidentin für Forschung, begrüßte die Gäste und führte durch den Abend.