Verkehrliche und fiskalische Wirkung von neuen Wohnsiedlungen und Wohnungen


Laufzeit: 01.01.2000 bis 30.12.2003

Auftraggeber/Finanzierung: Eigenmittel der TU Hamburg-Harburg, Hamburger Verkehrsverbund (HVV), Dr. Joachim und Hanna Schmidt Stiftung für Umwelt und Verkehr, Gesellschaft für immobilienwirtschaftliche Forschung (gif)

Kontakt: Carsten Gertz

Bearbeitung: Eckhard Kutter (Leitung), Jens-Martin Gutsche


 

Das Verkehrsverhalten der Einwohner in Stadtregionen ist in hohem Maße von ihrem Wohnstandort abhängig. Mit der Standortentscheidung bei Umzügen (stadtregionale Lage der Wohnung, Entfernung zur nächsten ÖPNV-Haltestelle, Angebote im Nahraum) trifft ein Haushalt zugleich seine langfristigen Verkehrsentscheidungen (Entfernung zu Versorgungseinrichtungen und Arbeitsplätzen, Attraktivität des ÖPNV für den eigenen Alltag). Diese bilden für die gesamte Wohndauer des Haushalts die Rahmenbedingungen für das Verkehrsverhalten seiner Mitglieder (täglich zurückgelegte Entfernungen, Verkehrsmittelwahl).

Bei den Entscheidungen der Kommunen über die Ausweisung von Flächen für neue Wohnungen spielen fiskalische Überlegungen (insbesondere erhoffte zusätzliche Einnahmen) eine große Rolle. Über die Bindeglieder "Flächenausweisungen der Kommunen" und "Standortentscheidungen der Haushalte" lässt sich somit eine Verknüpfung zwischen dem kommunalen Finanzsystem und der Verkehrsentstehung herstellen.

Verkehrseffiziente Raum- und Siedlungsstrukturen bilden und erhalten sich nicht von selbst, da ihnen eine Vielzahl von Einflussfaktoren entgegenstehen. Viele davon gehören nicht zum Themenbereich "Verkehr". So wäre auf der fiskalischen Ebene ein kommunales Finanzsystem hilfreich, das Kommunen finanziell entlastet, die eine verkehrssparsame Gemeindeentwicklung betreiben, und solche finanziell stärker in die Pflicht nimmt, die durch ihre Ausweisungspolitik überdurchschnittlich viel Verkehr erzeugen.

Im Projekt "Verkehrliche und fiskalische Wirkung von neuen Wohnsiedlungen und Wohnungen" werden daher die verkehrlichen und fiskalischen Wirkung des Bau neuer Wohnungen in unterschiedlichen stadtregionalen Lagen untersucht. Als Beispielregion wird der Großraum Hamburg gewählt. Für einige Vergleichdaten wird auf die beiden Landeshauptstädte Kiel und Hannover berücksichtigt.

Die wesentlichen Ergebnisse des Projekt sind:

  • Das Verkehrsverhalten der Bewohner neuer Wohngebiete wird durch dessen Standorteigenschaften erheblich beeinflusst. Wie eine Haushaltsbefragung von etwa 1.800 Haushalten im Großraum Hamburg zeigt, verursachen die Bewohner von besonders verkehrsaufwändigen Wohngebiete etwa den zwei- bis zweieinhalbfachen Autoverkehr (zurückgelegte Entfernung pro Person und Tag) als Bewohner verkehrssparsamer Wohnstandorte. Die wichtigsten Einflussparameter sind die Entfernung zu den Arbeitsplatzschwerpunkten sowie - mit schwächerer Wirkung - das Angebot im fußläufigen Nahraum und die Qualität des ÖPNV-Angebots.
  • Bei der fiskalischen Bilanz neuer Wohngebiete für die gebietsausweisende Gemeinde zeigt sich eine deutliche Abhängigkeit von der Kreiszugehörigkeit. Während sich in detaillierten Modellrechnungen die Ausweisung neuer Wohngebiete für kreisfreie Städte als "fiskalisch rentabel" erweist, halten sich in den kreisangehörigen Gemeinden (d.h. allen Hamburger Umlandgemeinden) die zusätzlichen Einnahmen und Ausgaben in etwa die Waage. Die fiskalische Bilanz in diesen Gemeinden liegt somit bei "plus minus Null". In einigen Gemeinden, insbesondere bei abundanten Kommunen, ist sie sogar negativ. Der Hamburger Sonderstatus "Stadtstaat" wurde nicht betrachtet.
  • Eine Gegenüberstellung der verkehrlichen und fiskalischen Bilanzen neuer Wohngebiete zeigt, dass das kommunale Finanzsystem dem Ziel einer verkehrssparsamen Regionalentwicklung hinsichtlich der fiskalischen Signale bei der Baulandausweisung nicht direkt widerspricht. Die Ergebnisse, dass neue Wohngebiete in kreisangehörigen Gemeinden kaum eine Wirkung auf den Kommunalhaushalt entfalten, stellen ein gutes Argument für Initiativen zur interkommunalen Kooperation bei der Baulandausweisung dar. Aus Sicht einer verkehrssparsamen Raumentwicklung ist jedoch negativ anzumerken, dass vom kommunalen Finanzsystem im kreisangehörigen Raum nahezu keine Lenkungswirkungen ausgehen, da sich alle Standorte gleich gut (oder schlecht) für die Gemeinden rechnen. Zudem ist das Gemeindefinanzsystem aufgrund von gegenseitigen Abhängigkeiten und Zeitverzögerungen so kompliziert, dass die fiskalische Bilanz eines neuen Wohngebiets zum Zeitpunkt der Entscheidung über eine Bauleitplanung von den kommunalen Entscheidern i.d.R. nicht realistisch abgeschätzt werden kann. Die bereits heute vorhandenen Signale des kommunalen Finanzsystem werden daher kaum wahrgenommen. Statt dessen fallen viele Ausweisungsentscheidung auf Basis der weit verbreiteten Annahme, neue Wohngebiete würden sich für Gemeinden immer fiskalisch rechnen ("Mythos vom fiskalisch rentablen Neubaugebiet").

Veröffentlichungen:

  • J.-M. Gutsche:
    Verkehrserzeugende Wirkungen des kommunalen Finanzsystems, Berlin (Analytica), ISBN 3-929342-74-X , 2004
  • J.-M. Gutsche:
    Kommunale Investitionskosten für soziale Infrastruktur und äußere Erschließung bei neuen Wohngebieten - Auswertung einer Gemeindebefragung im Herbst 2002, ECTL Working Paper 16, 2002
  • J.-M. Gutsche; Schmidt A.:
    Räumliche Verteilung der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Hamburg - Dokumentation einer Modellrechnung mit eigenem Erhebungsteil zur Anzahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten nach Arbeitsort in den Hamburger Ortsteilen 2001, ECTL Working Paper 17, 2003
  • J.-M. Gutsche:
    Fiskalische Auswirkungen neuer Wohngebiete auf die kommunalen Haushalte - Modellrechnungen und Erhebungsergebnisse am Beispiel des Großraums Hamburg, ECTL Working Paper 18, 2003
  • J.-M. Gutsche:
    Verkehrserzeugung potenzieller Standorte für neue Wohngebiete im Großraum Hamburg, ECTL-Working Paper 23, Hamburg, 2003