16.10.2025

„Je mehr Sinne angesprochen werden, desto besser lernen wir“

Foto: Isadora Tast

Prof. Thorsten A. Kern ist neuer Vizepräsident Lehre (VPL). Der Leiter des Instituts für Mechatronik im Maschinenbau repräsentiert zudem die TU Hamburg im ligeti zentrum – ein Ort, an dem Wissenschaftler*innen und *innen gemeinsam forschen. Hier hat das Gespräch stattgefunden.

Die Erstsemesterzahlen für das kommende Wintersemester sind sehr gut. Ist das ein guter Start für einen neuen Vizepräsidenten Lehre oder eine Herausforderung, an der Sie sich künftig messen lassen müssen?

Ich bin unglaublich glücklich, dass wir als Team, das Lehre betreibt und unsere Studiengänge bewirbt, eine so gute Leistung erbracht haben. Studierendenzahlen sind ein sehr gut messbarer Faktor für verschiedenste Aspekte. Wir sehen, wie sich Ingenieurwissenschaften im Vergleich zu anderen Berufsfeldern verhalten. Das zeigt uns, wie wir in der Region und vielleicht sogar weltweit positioniert sind. Und die Zahlen zeigen auch den Vergleich, den wir zwischen den verschiedenen Studiengängen haben: Was zieht im Moment, was sind die Interessen? Wie sollen wir die Studiengänge danach fachlich ausrichten? Am Ende sind Studierendenzahlen eine schöne, messbare Größe, aber als Wettbewerb der Generationen möchte ich das als neuer Vizepräsident Lehre ausdrücklich nicht verstanden wissen.

Die Zahlen sind nicht alles?

Gute Anfängerzahlen sind das eine. Aber was Industrie und Gesellschaft brauchen, das sind Absolvent*innen. Und wir als TU möchten möglichst viele Erstsemester, aus denen am Ende Absolventinnen und Absolventen werden. Wie schaffen wir es, den jungen Menschen Orientierung zu geben und gleichzeitig möglichst viele bei uns zu halten? Deswegen streben wir eine möglichst gute Führung durch unsere Studiengänge an.

Wie kann man prospektive Studierende für technische Fächer begeistern?

Zunächst mit schierer Sichtbarkeit. Das sollte man nicht unterschätzen. Alles, was im Bereich Forschung passiert – sei es durch unsere Events, die Robotikkurse, die Kinderforscher, all diese Aktivitäten –, erzeugen eine wiederkehrende Wahrnehmung der TU, regional, aber auch ein Stück weit global. Begeisterung für technische Fächer zu wecken, ist eine Herausforderung. Und ganz ehrlich: Ich wäre froh und dankbar, wenn ich ein Rezept für die perfekte Lösung hätte. Hier wird man noch viel erproben und die Wirkung evaluieren müssen.

Seit 2023 repräsentiert Ihr Institut die TU Hamburg im neuen ligeti zentrum. Studierende von Ihnen haben Maschinen entwickelt, die in Echtzeit Musik interpretieren und als abstraktes Gemälde auf eine Leinwand bringen. Lassen sich kreative Prozesse aus der Musik in die Ingenieurwissenschaften übertragen?

Die Idee entstand in meinem Masterkurs ‚Applied Design Methodology in Mechatronics‘ (ADMM). Es ging darum, in Kleingruppen eine Idee bis zum Produkt nicht nur methodisch, sondern auch praktisch zu entwickeln. Das ligeti zentrum hat es uns ermöglicht, das Ganze in einem Setting mit professionellen Musiker*innen umzusetzen. Die Roboter haben die kreativen Aspekte im Umgang mit einem Musikstück aufgegriffen. Das haben die Studierenden vorher programmiert. Und wenn man das jetzt aufs Malen überträgt, sehen wir den mechanischen Prozess, einen Pinsel zu führen, verbunden mit einem Selektionsprozess, welche Farben er beispielsweise auswählt. Dazwischen passiert irgendetwas, das wir als Kreativität zwischen Hören und Etwas-aufs-Papier-Bringen bezeichnen. Die Fragen sind, wie viel davon lässt sich als Ingenieur einem technischen System beibringen und wo finde ich diesen Bereich, der den Menschen von der Maschine unterscheidet.


Sie arbeiten mit Sensoren und Aktoren an Mensch-Maschine-Schnittstellen. Was ist das Besondere bei dieser Forschung am ligeti zentrum?

Als Mechatroniker habe ich hier die Möglichkeit, anders an die Dinge heranzugehen. Ich lerne, wie wichtig es ist, alle Sinne anzusprechen. Kunst, insbesondere Musik, transportiert eine Emotion. Das ist der Punkt, wo wir ganz viel von den Kolleginnen und Kollegen der HfMT lernen können, weil es ihr ausschließliches Ziel ist, mit Musik und Theater Emotionen zu wecken. Dafür benutzen sie auch Technologie. Bei uns Ingenieuren ist es umgekehrt. Wir benutzen Technologie und manchmal denken wir darüber nach, auch Emotionen zu wecken. Und meine noch nicht vollständig umgesetzte Hoffnung ist, dass wir voneinander lernen können. Dass wir kleine Aspekte, kleine Trigger, die unseren künstlerischen Kolleginnen und Kollegen quasi zufallen, weil sie sich tagtäglich damit auseinandersetzen, mit in die didaktischen und kommunikativen Konzepte der TU übertragen können.

Welche sind die wichtigsten Qualifikationen, die Studierende künftig mit ihrem Studium – zusätzlich zum fachlichen Handwerkszeug – vermittelt bekommen müssen?

Akademische Ausbildung umfasst sehr viel Methodenwissen. Das vermitteln wir typischerweise über unsere Sinne. Je mehr Sinne angesprochen werden, desto besser lernen wir. Die Kunst, die wir als TU leisten müssen, ist, physische Räume zu schaffen, in denen Studierende wirklich mit allen Sinnen ein didaktisches Ziel erfahren können. Das kann der Umgang mit Maschinen sein und der Rückschluss auf die Methoden und die Technologie dahinter. Wenn wir unsere Möglichkeiten ausbauen, möglichst alle Sinne anzusprechen, und zwar passiv in der Erfahrung, aber auch aktiv im Tun, dann haben wir eine echte Chance, Projekte zu einem solchen Ereignis zu machen, dass sich die Studierenden ihr Leben lang daran erinnern.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Für mich war ein Schlüsselmoment bei einem Rundgang als junger Student, als ich in einem Labor eine Maschine anfassen durfte, die Telemanipulation beherrschte, eine Live-Übertragung von einer selbst gesteuerten mikroskopischen mechanischen Interaktion an einem Ort zu meiner Hand. Davon hatte ich vorher schon ansatzweise gehört, die feine Vibration dieser Interaktion dann wirklich in der Hand zu spüren, hat mein Interesse an diesem Teilbereich geweckt und bestimmt im Wesentlichen bis heute meine Forschung. Das wäre nicht so gewesen, hätte ich das nur in der Theorie gehört.

Wir sollten Technik erfahrbarer machen?

Ich sehe Begeisterung bei Studierenden, wenn sie bei uns auf dem Campus im Technikum die großen verfahrenstechnischen Anlagen mit ihrer Regelungs- und Steuerungstechnik kennenlernen. Wenn sie die Labore des Schiffbaus sehen, wenn sie Robotik live erleben oder an echten Anlagen arbeiten, wenn mühsam trainierte Modelle das erste Mal auf Basis echter Daten Ergebnisse liefern. Dieser niederschwellige und koordinierte Zugang darf nicht nur für einen exklusiven Kreis sein, wir müssen ihn unbedingt ausbauen – mit mindestens einem weiteren CampusLab. Naheliegend ist, diese Infrastruktur auch im öffentlichen Kontext zu nutzen. Wir können beispielsweise didaktisch angepasste Lehrräume erzeugen, zu denen wir Schülerinnen und Schüler zu uns einladen. Immer verbunden mit den Ressourcen, um für so einen Transfer und ein solches Marketing unsere Wissenschaftler*innen nicht zusätzlich zu belasten.

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