Forschungskolloquium Arbeit-Gender-Technik
im Wintersemester 2014/2015


Dozentin:Prof. Dr. Gabriele Winker
Zeit:
Ort:Gebäude E (SBS 95), Raum E0.091

 



PROGRAMM

Donnerstag, 11. Dezember

13:00 - 13:30 Uhr

Gabriele Winker, Kathrin Ganz
Begrüßung und Organisatorisches


13:30 - 14:45 Uhr

Doreen Kruppa
„Freundschaftszentrierte Lebensweisen – im Spannungsfeld zwischen alternativer Lebensweise und Heteronormativität" – Methodisches Vorgehen bei der Auswertung der Interviews

In meiner Dissertation werden freundschaftszentrierte Lebensweisen aus heteronormativitätskritischer und intersektionaler Perspektive untersucht. In Problemzentrierten Interviews mit Menschen, die freundschaftszentriert leben, wird folgenden Forschungsfragen nachgegangen: In welcher Weise erweitern sich die Handlungsmöglichkeiten derjenigen, die freundschaftszentriert leben, durch diese Lebensweise? Welche Hürden bestehen für die Umsetzung freundschaftszentrierter Lebensweisen im Alltag? Welche Umgangsweisen werden dazu von den Betroffenen entwickelt? Welche Ansatzpunkte für gesellschaftliche Veränderungen ergeben sich?

Im Forschungskolloquium werde ich den aktuellen Stand bei der Auswertung der von mir geführten Interviews vorstellen. Dazu werde ich ausgewählte Subjektkonstruktionen zweier Interviews zur Diskussion stellen und möchte anhand dieser das weitere Vorgehen auf der Stufe 5 der Intersektionalen Mehrebenenanalyse in der Forschungsgruppe besprechen.


15:00 - 16:15 Uhr

Michel Raab
Theoretischer Zugriff zu Fürsorge

In der Betrachtung von Care lassen sich verschiedene gesellschaftlich Rahmungen unterscheiden: familiär, sozialstaatlich oder privatwirtschaftlich; symbolisch bezahlt, entlohnt oder unbezahlt; verbunden mit direkter oder indirekter Mehrwertproduktion.

Zudem lassen sich subjektive Sinngebungen/Orientierungen der handelnden Akteure unterscheiden: Gebrauchs- oder Tauschwertorientierung; Ethik der Achtsamkeit/Reziprozität oder androzentristischer Universalismus/Äquivalententausch.

Die subjektive Bedeutung einer Tätigkeit lässt sich jedoch nicht aus der Rahmung ableiten. Auch im Privaten verhalten sich Menschen tauschwertorientiert und funktional, u.A. weil sie in patriarchalen Verhältnissen leben, die Frauen einen ungleichen Tausch aufzwingen. Auf der anderen Seite kann auch warenförmige Care nicht gänzlich auf eine zugewandte Haltung und eine Subjekt-Subjekt-Beziehung verzichten.
Um bei der theoretischen Reformulierung der empirisch vorgefundenen Aspekte von Care weder strukturdeterministisch die Bedeutung der Praxen aus der Rahmung abzuleiten noch voluntaristisch die Sinngebung der Subjekte als hinreichende Beschreibung der sozialen Wirklichkeit zu missverstehen, brauche ich differenzierte Begrifflichkeiten. Dazu werde ich einen Zwischenstand darstellen.


16:45 - 17:30 Uhr

Pia P. Probst
Zwischen Reproduktion und Aufbegehren? Alltägliche Lebensführung und subjektive Verarbeitung von Prekarität bei freiberuflichen Lehrer_innen an öffentlichen Berliner Musikschulen

Gestützt auf die Erhebung qualitativer Interviews rekonstruiert das Forschungsvorhaben die prekären Lebenslagen von hochqualifizierten Prekarisierten am Beispiel von Lehrer_innen, die an Berliner Musikschulen auf Honorarbasis beschäftigt sind. Unter Rückgriff auf das Konzept der alltäglichen Lebensführung zeigt es, wie prekäres Leben bewältigt wird (Projektgruppe ALF 1995). Zugleich werden Wahrnehmungen und Deutungen, d.h. subjektive Verarbeitungsweisen dieser Lebenslage untersucht. Im Mittelpunkt steht die Frage, ob in den Bewältigungs- und Verarbeitungsweisen Berliner Musikschullehrer_innen Prekarisierung reproduziert, verändert oder sich dem widersetzt wird. Prekarisierung wird dabei als gesamtgesellschaftliches Phänomen verstanden, das strukturelle, institutionelle sowie diskursive Veränderungen umfasst (Sozialstaat, neue Arbeitsformen, modernisierte Geschlechterverhältnisse, neoliberale Diskurse usw.) und sich subjektiv, u.a. in der Übernahme von Stigmatisierungen, in Selbstdisziplinierung, Individualisierung und einem Gefühl von Entmächtigung, zeigen kann (Dörre 2009, Freudenschuß 2013). Mit der Methode der Intersektionalen Mehrebenenanalyse werden Subjektkonstruktionen aus qualitativem Interviewmaterial herausgearbeitet und die Ebenen Identität, Diskurs und Struktur in ihrer wechselseitigen Bezüglichkeit im Hinblick auf die Forschungsfrage untersucht (Degele/Winker 2009). Mit ihr wird auch eruiert, inwiefern die Befragten in ihrer gesellschaftlichen Selbstverortung Ausschlüsse durch den Bezug auf Kategorien wie „Rasse“, Klasse und Geschlecht reproduzieren.

Das Vorhaben beschäftigt sich mit der relativ wenig erforschten Gruppe hochqualifizierter Prekarisierter. Die Arbeit wendet sich damit nicht nur einem Forschungsdesiderat zu, sondern untersucht zugleich das Phänomen der Fraktionierung und Deklassierung eines Teils der akademisch gebildeten Mittelschicht. Idealiter können am Ende des Forschungsprozesses Hinweise für Strukturen, Problematisierungsweisen und Mobilisierungsstrategien entwickelt werden, die es politischen Akteuren erleichtern die Personengruppe der „privilegierten Prekarisierten“ anzusprechen.
Im Forschungskolloquium möchte ich das Vorhaben kurz skizzieren und über Forschungsfragen, methodische Herangehensweise und inhaltliche Konsistenz diskutieren.


17:45 - 19:00 Uhr

Simon Schmiederer
Die Relevanz von institutionellen Regelungen und finanziellen Aspekten für die subjektive Entscheidung früher in Rente zu gehen oder länger zu arbeiten

Vor dem Hintergrund eines strukturellen Wandels und einer diskursiven Neubewertung der Lebensphase Alter zielt mein Promotionsprojekt darauf ab, die Gründe zu analysieren, warum manche ältere Beschäftigte frühzeitig aus dem Erwerbsleben ausscheiden und andere über das durchschnittliche berufsspezifische Renteneintrittsalter hinaus arbeiten.

In der empirischen Forschung werden verschiedene Push- und Pull-Faktoren für Frühausstieg oder Weiterarbeit identifiziert: Institutionelle Übergangsmöglichkeiten, Finanzen/Einkommen, Gesundheit, Haushaltskontext (Sorgearbeit, Familie, Partnerschaft), Erwerbskontext (Arbeitsmarktlage, Betriebliche Situation, Arbeitsbedingungen, Arbeitszufriedenheit) und Freizeit/andere Interessen außerhalb der Erwerbsarbeit.
In meinem Vortag werde ich mich auf die institutionellen Übergangsmöglichkeiten und finanziellen Aspekte konzentrieren. Anhand meines aus qualitativen Interviews gewonnen Materials werde ich auf folgende Fragen eingehen: Welche Bedeutung haben institutionelle Rentenübergänge für die Subjekte? In welcher Form und von wem werden sie genutzt oder nicht genutzt? Welche Beschränkungen und Ermöglichungen sind in diesen institutionellen Bedingungen angelegt? Welche Bedeutung haben finanzielle Aspekte für die subjektive Entscheidung länger zu arbeiten oder früher aus dem Erwerbsleben auszuscheiden? Welche Rolle spielen gesellschaftliche Ungleichheitsverhältnisse?
Da die Auswertungen noch im Gange sind, ist die Frage an das Kolloquium, in welcher Form sie zugespitzt und vertieft werden können.


Freitag, 12. Dezember

09:00 - 10:15 Uhr

Wibke Derboven
Care-Arbeit in Bewegung – Methoden in Bewegung: Zur Kombination der Intersektionalen Mehrebenenanalyse mit einer qualitativen Inhaltsanalyse

Der Beitrag stellt Interviewauswertungen unseres Care-Arbeits-Projektes vor. Die Auswertungsmethode kombiniert die Intersektionale Mehrebenenanalyse (Winker/Degele 2009) mit der Qualitativen Inhaltsanalyse (Kuckartz 2012). Es werden sowohl Einzelfallanalysen als auch fallübergreifende Analysen vorgestellt. In der anschließenden Diskussion können die Schwächen, die Stärken und die konkreten Anwendungsprobleme diskutiert werden.


10:30 - 11:45 Uhr

Iris Nowak
Das Ringen um gute Pflege und betriebliche Bedingungen

Das Wissen über die Zeitknappheit, unter der Pflegekräfte pflegen, gehört zwar zum Allgemeinwissen; allerdings ist auffallend, dass diese in medialen Darstellungen ebenso wie in wissenschaftlichen Untersuchungen meist als Menschen erscheinen, die den Verhältnissen in den Pflegeheimen ausgeliefert sind bzw. etwas verzweifelt versuchen, unter diesen prekären Bedingungen dennoch das Bestmögliche für die betreuten Menschen zu erreichen.

In diesem Projekt gehe ich hierüber insofern hinaus, als ich danach frage, erstens, wie sich Pflegekräfte gegenüber dem Widerspruch zwischen den hohen Erwartungen an ihre Pflegearbeit und den knappen Ressourcen positionieren und, zweitens, welche Möglichkeiten sie sehen, gestaltend einzugreifen.
In diesem Vortrag möchte ich auf Darstellungsprobleme hinsichtlich der Empirie eingehen. Die Frage danach, was gute Pflege ist und wer in den Einrichtungen was genau darunter versteht, ist für die Empirie und ihre Auswertung zentral. Dabei sind die Antworten dazu, was die Interviewpersonen selbst darunter verstehen, relativ einheitlich: Zu guter Pflege gehört ausreichend Zeit, sich mit den Bewohnern auseinanderzusetzen. Entsprechende persönliche Begegnungen mit den Bewohnern sind zugleich für viele Befragte das, was ihnen persönlich an der Arbeit gefällt bzw. wichtig ist. Dies steht allerdings, so berichten sie weiter, im Widerspruch zu den Bedingungen, unter den gepflegt wird, aber auch zu den Leitlinien, die von Vorgesetzten und Einrichtungsleitungen vermittelt werden. Lediglich ein kleiner Teil der Befragten beschreibt eine Übereinstimmung zwischen persönlichen und betrieblichen Vorstellungen davon, wie Pflege laufen soll. Im Moment ist unklar, wie sich in der Darstellung der Empirie Aussagen, die sich für einen größeren Teil der Interviews verallgemeinern lassen, zu der Darstellung individueller Auffassungen in Beziehung setzen lassen.


12:00 - 13:15 Uhr

Tanja Carstensen
Social Media in Unternehmen. Betriebliche Rahmenbedingungen, neue Anforderungen und individuelle Umgangsweisen

Das Projekt „Arbeit 2.0. Neue Anforderungen an Beschäftigte und ihre Interessenvertretungen im Umgang mit Social Media“ (gefördert von der Hans-Böckler-Stiftung) untersucht, welche Anforderungen aus Sicht der Beschäftigten im betrieblichen Einsatz von Social Media entstehen und welche unterschiedlichen Umgangsweisen die Beschäftigten entwickeln. Dahinter steht auch die Frage, inwiefern sich mit Social Media neue Möglichkeiten an Bereicherungen und Arbeitserleichterungen bzw. zusätzlichen Belastungen und Gefährdungen für die Beschäftigten ergeben. Außerdem wird die Frage verfolgt, wie Betriebs- und Personalräte gegenüber dem betrieblichen Einsatz von Social Media agieren, welche Problemlagen sie wahrnehmen und welche Handlungsansätze sie bereits entwickelt haben.

Der Vortrag stellt Zwischenergebnisse aus der Online-Befragung von Interessenvertretungen sowie aus den Betriebsfallstudien vor. Auf der Grundlage der Daten der Online-Befragung wurden fünf typische Cluster betrieblicher Konstellationen ermittelt. Die Interviews in den Betrieben geben darüber hinaus Auskunft über neue Anforderungen an die Subjekte sowie deren individuelle Umgangsweisen zwischen Anpassung, Gleichgültigkeit, Begeisterung und Kritik. Außerdem werden erste Thesen zu Themen wie Freiwilligkeit, Datenschutz, Privatsphäre, Entgrenzung, Subjektivierung und sozialer Ungleichheit im Kontext digitaler Medien zur Diskussion gestellt.

Link zum Projektblog: internet-at-work.net


14:00 - 15:15 Uhr

Kathrin Ganz
Subjektpositionen im politischen Diskurs der Netzbewegung. Ergebnisse der hegemonietheoretischen, intersektionalen Mehrebenenanalyse

Eine freie und offene Gesellschaft im digitalen Zeitalter. – So lautet das politische Ziel von Aktivist*innen der Netzbewegung. Das Forschungsprojekt untersucht ihren politischen Diskurs aus einer hegemonietheoretischen und intersektionalen Perspektive. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage, welche Subjektpositionen artikuliert werden und wie diese intersektional, d.h. in mehrdimensionalen gesellschaftliche Herrschaftsverhältnisse, verortet sind. Der Begriff „Subjektposition“ bezeichnet jedoch nicht die kategoriale Mehrfachzugehörigkeit einer Person, sondern einen diskursiven Knotenpunkt, der im Diskurs zeitweise fixiert und mit Bedeutung versehen wird und mit dem sich Menschen als Subjekte konstruieren können.

Aufgrund ihres informellen, netzwerkartigen Charakters müssen soziale Bewegungen grundsätzliche Fragen, die die kollektive Identität und das gemeinsame politische Projekt betreffen, kontinuierlich aushandeln: Wer sind wir? Was ist unser gemeinsames Interesse? Wer sind unsere Gegenspieler*innen? Wen gilt es zu mobilisieren und wie kann das gelingen? Das Konzept Subjektposition lässt sich nutzen, um diese Konstruktions- und Aushandlungsprozesse analytisch zu fassen. Verbunden mit einer intersektionalen Mehrebenen-Methodologie ist es darüber hinaus möglich zu zeigen, wie soziale Ungleichheit in diese Prozesse eingeflochten ist.

Die Netzbewegung konstituiert sich – durchaus paradox – als politisches Kollektiv „vernetzter Individuen“, welche die Avantgarde der Informationsgesellschaft bilden. Prozesse der Selbstreflexion beziehen sich auf die Position von „Nerds“ und ihre vermeintliches Wissensmonopol, sowie die „privilegierte Situation“, aus der die Aktivist*innen handeln. Entlang des Stichwortes „Privacy“ wird zudem verhandelt, ob Sichtbarkeit eine Voraussetzung für den vernetzten Individualismus ist und welche Konsequenzen dies für die Programmatik einer Bewegung hat, die sich traditionell für Datenschutz einsetzt.
In der Forschungswerkstatt werde ich die Ergebnisse meiner Untersuchung darstellen, Einblicke in mein Vorgehen geben und die Begriffe zur Diskussion stellen, die ich für die herausgearbeiteten Subjektpositionen wähle.


15:30 - 16:45 Uhr

Anna Köster-Eiserfunke
‚Elder Care‘ im Kontext von Re-Familialisierung, Migration & Prekarität

In Deutschland werden knapp 70% der pflegebedürftigen alternden Menschen in häuslichen und ambulanten Konstellationen – zumeist von weiblichen Familienangehörigen – gepflegt. Doch während in Anbetracht neoliberaler Anrufungen von einer Refamilialisierung von Care-Tätigkeiten gesprochen werden kann, nehmen gleichzeitig multilokale, transnationale und entgrenzte Familien- und Arbeitsformen sowie die Berufstätigkeit von Frauen zu. Diese scheinbaren Widersprüche werden in wachsendem Maße durch eine Auslagerung an migrantische Pflegekräfte „gelöst“. Eine „Lösung“, die jedoch nicht allen Sorgegemeinschaften zugänglich ist, sondern eine abgesicherte ökonomische Situation voraussetzt. Ermöglicht wird sie durch aktuelle Migrationsregime und Entrechtungsprozesse, die mit emergierenden „transnational care spaces“ (Gendera/Haidinger) einhergehen. Es ist demnach von g/lokalen Care-Regimes auszugehen, die die Möglichkeitsräume der Ausgestaltung von Pflege-Arrangements strukturieren.

Ausgehend von den Subjektkonstruktionen und Alltagspraktiken von (familiären) Care-Leistenden sollen im Rahmen meines Dissertationsprojekts die skizzierten Anrufungen und Strukturierungen als (stets umkämpfte) Regierungsweisen im Sinne Foucaults untersucht werden, die mit spezifischen (Selbst-)Führungen einhergehen und auf ihre (strategischen) Effekte hin zu befragen sind.

Hierfür möchte ich den Ansatz der „intersektionale Mehrebenenanalyse“ von Gabriele Winker/Nina Degele nutzen und ihn mit dem methodischen Vorgehen einer „multi sited ethnography“ verbinden. Im Kolloquium werde ich das Forschungsdesign meines Promotionsprojekts vorstellen und möchte gemeinsam offene Fragen diskutieren.


16:45 - 17:15 Uhr

Abschluss