Forschungskolloquium Feministische Gesellschaftskritik
im Wintersemester 2017/2018


Dozentin:Prof. Dr. Gabriele Winker
Zeit:Do., 16. November: 13:00 - 19:30 Uhr und Fr., 17. November: 9:30 - 13:00 Uhr
Ort:Gebäude E (SBS 95), Raum 0.091 


Programm

Donnerstag, 16. November 2017

13:00 - 13:30 Uhr

Gabriele Winker, Kathrin Ganz: Begrüßung und Organisatorisches

13:30 - 14:45 Uhr

Iris Nowak: Vom Ringen um gute Pflege im professionellen Pflegealltag – Theoretische Verortung

Das Wissen über die Zeitknappheit, unter der Pflegekräfte in stationären Pflegeeinrichtungen pflegen, gehört zum Allgemeinwissen. Mögliche politische Veränderungen werden von unterschiedlichen Akteuren unterschiedlich eingeschätzt. Selten wird thematisiert, wie sich Pflegende selbst gegenüber der gesellschaftlichen Regulierung ihrer Pflegearbeit positionieren. 

In meinem Beitrag zum Kolloquium geht es darum, den theoretischen Rahmen zu erläutern, in dem ich in meiner Dissertation untersuche, welche Position die Pflegenden gegenüber den Bedingungen, unter denen sie pflegen, einnehmen. Hierzu gehört zum einen, die sozialstaatlichen Vorgaben zwar als gegenwärtig feststehende, gleichzeitig aber langfristig veränderbare Struktur zu denken. Die Frage nach ihrer Stabilität oder Veränderbarkeit schließt dabei immer auch ein zu untersuchen, in welchem Verhältnis alltägliche Denk- und Handlungsweisen zu den gesellschaftlichen Regulierungen stehen. Reproduzieren die Pflegenden diese relativ unhinterfragt oder gibt es auch widerständige Positionierungen? Um dies herauszuarbeiten, wird sowohl ihre Position als Lohnarbeitende in betrieblichen Machtbeziehungen als auch ihre Position als Sorgearbeitende in kapitalistischen Gesellschaftsstrukturen theoretisch erläutert.

15:15 - 16:30 Uhr

Doreen Kruppa: Heteronormativitätstheoretische und intersektionale Zugänge zu freundschaftszentrierten Lebensweisen

In meiner Dissertation untersuche ich freundschaftszentrierte Lebensweisen aus intersektionaler Perspektive und dabei unter besonderer Berücksichtigung von Heteronormativität. Eine theoretische Grundlage meiner Studie ist der intersektionale Mehrebenenansatz von Winker und Degele, den ich in dem vorliegenden Kapitel zuerst darstelle, da er mir ermöglicht, die Bedeutung von sozialer Ungleichheit und gesellschaftlichen Herrschaftsverhältnissen für freundschaftszentrierte Lebensweisen zu untersuchen. Da es sich bei meinem Forschungsgegenstand um eine Lebensweise handelt, die den gesellschaftlich hegemonialen Leitbildern des Zusammenlebens als heterosexuelles Paar und als Kleinfamilie widerspricht, gehe ich im Anschluss auf das Konzept der Heteronormativität und seine Bedeutung für meine Untersuchung vertieft ein. Innerhalb der Heteronormativitätsdebatte interessieren mich für die Untersuchung freundschaftszentrierter Lebensweisen v.a. Ansätze, die sich explizit mit alternativen Lebensformen beschäftigen, weshalb ich außerdem das heteronormativitätstheoretische kritische Konzept „Vielfältige Lebensweisen“ von Jutta Hartmann hinzuziehe.

17:00 - 18:15 Uhr 

Jette Hausotter: Prekäre Privilegien – Wie Ingenieur_innen ihren Alltag gestalten

Das Thema des Vortrags sind die Auswirkungen gesellschaftlicher Prekarisierungsprozesse auf die Berufsgruppe der Ingenieurinnen und Ingenieure in Deutschland. Die Grundlage ist meine abgeschlossene Dissertation, in der ich folgende Forschungsfragen untersucht habe: (1) Welche Interessen verfolgen junge Ingenieur_innen in unterschiedlichen Lebensbereichen? Wo treten dabei Probleme und Konflikte auf? (2) Woran zeigen sich prekäre Privilegien im Alltag junger Ingenieur_innen? Welche sozialen Ungleichheiten innerhalb der Berufsgruppe sind dabei von Bedeutung? (3) Welche Ansatzpunkte für politisches Handeln lassen sich daraus ableiten?

Mit dem in der Arbeit entwickelten erkenntnisleitenden Begriff der prekären Privilegien wurde die Gleichzeitigkeit von Privilegien und Prekarisierungen theoretisch im Kontext der sozialen Ungleichheit verortet. Als zentrale Analysekategorie wurde dazu ein sozialkonstruktivistischer Interessenbegriff entwickelt, mit dem sich individuelle Interessen als Ausdruck einer mit Handlungszielen verknüpften subjektiven Positionierung im Kontext prekärer Privilegien analysieren lassen. Es kam eine qualitative Methodik zum Einsatz. Die empirische Datenerhebung umfasst 21 problemzentrierte Interviews mit festangestellten Ingenieur_innen, ausgewählt in einem theoriegeleiteten, selektiven Samplingverfahren. Die Interviews wurden mit der Methode der intersektionalen Mehrebenenanalyse ausgewertet, die mit der Bildung von empirisch fundierten Realtypen kombiniert wurde. 

Im Vortrag werden die herausgearbeiteten prekären Privilegien werden an drei Spannungsfeldern verdeutlicht. Im Spannungsfeld zwischen Interessenvielfalt und Zeitknappheit zeigen sich prekäre Privilegien daran, dass Verzicht als Voraussetzung für eine befriedigende Lebensführung akzeptiert wird. Im Spannungsfeld zwischen Herausforderung und Überlastung wird für die Aussicht auf berufliche Privilegien eine Überschreitung der Belastungsgrenze in Kauf genommen und Interessen in anderen Lebensbereichen vernachlässigt. Im Spannungsfeld zwischen Diskriminierung und Anerkennung zeigen sich prekäre Privilegien erstens daran, dass Frauen sich der bestehenden Berufskultur anpassen, indem sie Diskriminierungen individuell bewältigen und Konflikte darum vermeiden. Zweitens können entgegen ihrer Wünsche keine egalitäre Arbeitsteilung und partnerschaftliche Reduzierung der Erwerbsarbeit realisieren. Im Hinblick auf soziale Ungleichheiten innerhalb der Berufsgruppe konnte festgestellt werden, dass drei Gruppen besonders von prekären Privilegien betroffen sind: berufstätige Eltern, Berufsanfänger_innen und Frauen, wobei sich die Zugehörigkeit einer Person zu verschiedenen Gruppen überschneiden kann. Vor dem Hintergrund des Umgangs mit prekären Privilegien werden politische Handlungsansätze diskutiert, die nicht alleine die vorhandenen individuellen Handlungsoptionen ausweiten, sondern Zeitmangel, Belastungen und Diskriminierungen reduzieren.

Freitag, 17. Dezember 2017

9:30 - 10:45 Uhr

Michael Raab: Intimbeziehungen als zentrales Feld für die Reproduktion von Gesellschaft und Individuum

Als theoretischen Rahmen für das Verständnis der gesellschaftlichen Bedeutung konsensueller Nichtmongamie werde ich darlegen, dass sich Intimbeziehungen als zentrales Feld für die Reproduktion der kapitalistische Gesellschaft und der darin lebenden Menschen verstehen lassen. Dazu stelle ich verschiedene (teilweise widerstreitende) Ansätze in den analytischen Rahmen des Intersektionalen Mehrebenen Ansatz und zeige jeweils, welche Aspekte sich damit begreifen lassen.

Unter Rekurs auf wertkritische und feministische Theoretiker_innen verstehe ich als zentrale Momente für die Strukturebene der warenproduzierenden Gesellschaft die Herstellung von Gesellschaftlichkeit über Warentausch und die Vernutzung von Arbeitskraft, den mit Konkurrenz aller Beteiligten einhergehenden immanenten Zwang zur Profitmaximierung  sowie die strukturelle Trennung von Produktion und Reproduktion. Als symbolisch-kulturelle Absicherung von Herrschaft (Bourdieu) vor dem Hintergrund umkämpfter Kräfteverhältnisse (Gramsci) diskutiere ich die Ehe als zentrale Institutionalisierung hegemonialer Repräsentationen im Feld. Anschließend begründe ich, dass die strukturelle Trennung von Produktion und Reproduktion eine Entsprechung in der aufeinander bezogenen Konstruktion des Autonomen Subjekts und seines konstitutiven Außen fürsorglicher Weiblichkeit findet. Als handlungstheoretische Grundlegung zeige ich unter Rekurs auf den Ansatz des Doing Gender, wie Identitäten und Repräsentationen in der interaktiven Praxis vor dem Hintergrund von Gesellschaftsstrukturen durch Tun Wirksamkeit entfalten. Um in diesen Rahmen den Eigensinn der Subjekte und die Perspektive von Emanzipation sichtbar zu machen, differenziere ich auf das Tun bezogen zwischen restriktiver und erweiterter Handlungsfähigkeit im Sinne der Kritischen Psychologie.

Vor diesem Hintergrund entwickele ich Fragestellungen, die helfen sollen, zu beantworten, was es auf den verschiedenen Ebenen bedeuten kann, wenn eine zentrale Regel (die Monogamienorm) eines zentralen sozialen Feldes (Intimbeziehungen) bewusst und programmatisch gebrochen wird.

11:00 - 12:15 Uhr

Tanja Carstensen: Digitale Handlungsfähigkeit


Digitale Technologien gewinnen ohne Zweifel zunehmend einen relevanten Einfluss in der Gesellschaft. Soziologische Analysen behandeln zurzeit die Intensivierung ökonomischer und politischer Machtverhältnisse sowie die Etablierung neuer Regime der Überwachung, Selbstoffenbarung, Selbstausbeutung, Disziplinierung und Kontrolle. Im Anschluss an Foucaults Gouvernementalitätstheorie werden digitale Technologien häufig als neoliberale Regierungstechnologie gedeutet. Andere Arbeiten weisen auf neue Formen (betrieblicher) Herrschaft und Kontrolle durch digitale Technologien hin oder diskutieren Self-Tracking-Technologien als Optimierungsprojekt. Zudem scheinen digitale Technologien zunehmend ubiquitär, sie durchdringen den Alltag, permanent produzieren sie mit oder ohne menschliche Hilfe Daten, die von Algorithmen weiterverarbeitet werden und neue Handlungsvorschläge erzeugen. Und auch Nicht-NutzerInnen scheinen kaum noch in der Lage, sich der digitalisierten Gesellschaft zu entziehen; so werden sie, teilweise unbemerkt, Teil digitaler Fotoarchive anderer oder von Überwachungssystemen erfasst.


Ohne Zweifel identifizieren alle diese Analysen markante Charakteristika des Digitalen. Allerdings wäre es verkürzt, die Nutzung digitaler Technologien lediglich als Praktik der Unterwerfung unter die Anforderungen und Allmacht der Digitalisierung zu betrachten. Was dabei vernachlässigt wird, sind Perspektiven, die nach den Strategien der Subjekte fragen, die fragen, inwiefern Subjekte digitale Technisierungsprozesse eigensinnig mitgestalten, modifizieren sowie ablehnen und verhindern, und wie sie nicht vorhergesehene Nutzungsweisen entwickelt. Der Vortrag entwickelt daher eine mikrosoziologische/subjektorientierte Perspektive auf Digitalisierung, die sich den Handlungsspielräumen der Subjekte im Prozess der Digitalisierung widmet. Im Kern geht es um die Fragen, wie Subjekte an den digitalen Transformationsprozessen mitwirken und beitragen, inwiefern sie Einfluss nehmen, wie sie digitale Technologien und die damit verbundenen gesellschaftlichen Veränderungen verhandeln und gestalten, eigensinnig, leidenschaftlich, ablehnend, angestrengt oder widerständig sind, also letztlich, inwiefern Subjekte Handlungsfähigkeit mit (oder gerade ohne) und gegenüber digitalen Technologien entwickeln.

12:30 - 13:00 Uhr

Gabriele Winker, Kathrin Ganz: Abschluss und Planung