Handlungsfähigkeit in entgrenzten Arbeitsverhältnissen

  • Leitung: Prof. Dr. Gabriele Winker
  • Mitarbeit: Dipl. Sozialökonomin Iris Nowak, Jette Hausotter M.A.
  • Laufzeit: 2008-2011

 

1. Gegenstand und Fragestellung

Gegenwärtig werden immer mehr Lebensbereiche verstärkt Marktmechanismen unterworfen. Viele Beschäftigte befinden sich in entgrenzten Lohnarbeitsverhältnissen, in die sie sich als ‚ganze Person' und zunehmend eigenverantwortlich mit all ihrer Kreativität, ihrer Zeit, ihrer Persönlichkeit und ihren sozialen Kompetenzen einbringen müssen. Gleichzeitig werden immer mehr Berufsgruppen in den Bereich der Niedriglohnarbeit sowie in unsichere und prekäre Beschäftigungsverhältnisse verwiesen, deren Zahl u.a. durch den Wegfall des Familien-Ernährerlohns ansteigt. Neben diesen Entwicklungen im Sektor der Lohnarbeit führen staatliche Kürzungen im sozialen Sektor zu einer sich verschärfenden Doppelbelastung für all diejenigen Beschäftigten, die Sorgetätigkeiten für Kinder und pflegebedürftige Personen übernehmen und diese Anforderungen mit denen der Erwerbsarbeit verbinden müssen. Die Anforderungen in den verschiedenen Lebensbereichen nehmen vielfältige Formen an und zeichnen sich zunehmend durch eine dauerhafte Veränderungsdynamik aus. Um dies zu bewältigen, müssen Menschen eine große Flexibilität entwickeln.

Gegenstand unseres Forschungsvorhabens sind die Formen von Handlungsfähigkeit, die Menschen in diesen flexibilisierten, entgrenzten Arbeits- und Lebenszusammenhängen entwickeln. Dabei gehen wir davon aus, dass Geschlecht, Alter, nationalstaatliche Zugehörigkeit, Beschäftigungsstatus u.ä. Einfluss darauf haben, auf welche Weise Individuen von gesellschaftlichen Entwicklungen betroffen sind. Zugleich geht mit den unterschiedlichen Identitäten, die Menschen haben bzw. entwickeln, auch ein unterschiedliches Potential für die Gestaltung der eigenen Lebensbedingungen einher. Daher nehmen wir eine intersektionale Forschungsperspektive ein.

Uns leitet zudem die Annahme, dass individuelle Handlungsfähigkeit immer gesellschaftlich vermittelt ist und dass Menschen zwar gesellschaftlichen Bedingungen unterworfen sind, aber diese immer auch mitgestalten. Für viele bedeuten die gegenwärtigen gesellschaftlichen Veränderungen neue existenzielle Unsicherheiten und steigenden Leistungsdruck. Zugleich erfordern und ermöglichen sie eine Vielfalt von neuen Bewältigungspraxen, die Menschen in ihrem Alltag entwickeln müssen.

Die Fragen, denen wir in unserem Forschungsvorhaben nachgehen, lauten entsprechend:
1. Wie nehmen Menschen die neoliberalen Anforderungen in ihrer Erwerbs- und Sorgearbeit wahr? Welche Konflikte ergeben sich für sie?
2. Wie gehen Menschen mit diesen Anforderungen und den Konflikten um? Wie passen sie sich in die gegebenen Bedingungen ein? Wie versuchen sie, die Verfügung über ihre Lebensbedingungen zu erweitern?


2. Untersuchungsfelder

Um diese Fragen zu beantworten, fokussieren und kontrastieren wir zwei verschiedene Bereiche der Erwerbstätigkeit. Wir fragen Erwerbstätige in narrativen Interviews nach ihren Tätigkeiten in ihrer Erwerbs- und Sorgearbeit; wir wollen wissen, welche Konflikte für sie zentral sind und welche Handlungsspielräume sie für sich sehen.

I. Großunternehmen industrieller Produktion
In großen internationalen Produktionsunternehmen differenzieren sich Beschäftigungsverhältnisse zunehmend aus: Meist werden neben Festangestellten auch LeiharbeiterInnen und WerkvertragsnehmerInnen beschäftigt, teilweise gibt es Betriebsvereinbarungen zur Frage der Kinderbetreuung und betriebseigene Kindergärten etc. Hier führen wir Interviews mit Beschäftigten im technischen Bereich aus der Fertigung und aus der Entwicklung, die verschiedene Beschäftigungsstatus haben.

II. Dienstleistungsunternehmen in der Altenpflege
In Pflegeheimen lassen sich zum einen die steigenden Anforderungen innerhalb des sozialen Sektors zeigen und zum anderen die Auswirkungen, die abgesenkte Löhne, ausdifferenzierte Beschäftigungsverhältnisse und steigende Arbeitsbelastung in vormals klassischen ‚Zuverdienerinnen-Jobs' heute haben. Hier führen wir Interviews mit pflegerisch tätigen Beschäftigten mit unterschiedlicher Qualifikation und unterschiedlichem Beschäftigungsstatus.

Unsere Forschungsergebnisse möchten wir gern mit den Befragten sowie anderen betrieblichen und politischen Akteuren diskutieren.

Veröffentlichungen

  • Nowak, I.; Hausotter, J.; Winker, G. (2012): Handlungsfähigkeit in entgrenzten Verhältnissen. Subjektkonstruktionen von Beschäftigten in Industrie und Altenpflege. Hamburg. Projektbericht online verfügbar unter http://doku.b.tu-harburg.de/volltexte/2012/1138/
  • Nowak, I.; Hausotter, J.; Winker, G. (2012): Entgrenzung in Industrie und Altenpflege: Perspektiven erweiterter Handlungsfähigkeit der Beschäftigten. In: WSI-Mitteilungen H.4 / 2012 (i.E.)
  • Hausotter, Jette; Nowak, Iris (2011): Handlungsfähigkeit in entgrenzten Arbeitsverhältnissen. In: Promotionskolleg "Demokratie und Kapitalismus" und Kyrosch Alidusti (Hg.): Perspektiven der Demokratie. Gesellschaftspolitische Interventionsmöglichkeiten im Spannungsverhältnis zwischen Demokratisierung und kapitalistischen Strukturen. Tagungsband. Siegen, S. 102-110.