Überblick über den Projektbereich B

Allgemeines

Ingenieure unterscheiden bislang zwischen Struktur- und Funktionsmaterialien. Zu ersteren zählen Stahl, Beton oder Aluminium, aus denen zum Beispiel die tragenden Strukturen von Häusern, Brücken und Fahrzeugen bestehen. Funktionsmaterialien hingegen sind die Basis aktiver Bauteile: Chips aus Silizium rechnen in unseren PCs. Piezokeramiken treiben Dieseltreibstoff durch die Einspritzdüse und Tinte durch den Kopf eines Tintenstrahldruckers.

Die Experten des Bereichs B arbeiten an den Grundlagen für Werkstoffe, die beides können: Die neuen Materialien sollen für eine feste, stabile Struktur sorgen und gleichzeitig interessante Funktionen bieten, etwa als Sensor oder Aktor. Ein Beispiel wären Flugzeugflügel aus kohlenfaserverstärktem Kunststoff (CFK). Sie sind sehr leicht und zugleich hochfest. Ihr Nachteil: Da CFK keinen Strom leitet, droht es bei einem Blitzschlag beschädigt zu werden. Deshalb müssen CFK-Flügel derzeit mit Metall beschichtet werden – eine kostspielige Angelegenheit. Zudem bereitet die Metallschicht Probleme bei der routinemäßigen Inspektion nach feinen Rissen im Flügel.

Interessant wäre ein Material auf Kohlenstoffbasis, das leicht und stabil ist sowie zugleich elektrisch leitend. Es würde Blitzschläge ableiten können, ohne dafür mit Metall beschichtet zu werden. Im Prinzip könnte dieses Material sogar als Sensor fungieren: Falls sich Mikrorisse in der Tragfläche bilden, könnte es, wenn der Flügel schwingt, elektrische Signale aussenden. Aus diesen ließe sich dann ablesen, ob sich potenziell gefährliche Mikrorisse gebildet haben. Das Strukturmaterial würde damit zum Sensor.

Die Basis für solche Anwendungen könnten neuartige Verbundmaterialien sein, an deren Grundlagen die Forscher arbeiten. Im Unterschied zu den derzeitigen CFK-Werkstoffen wären die Grundelemente keine mikrometerdicken Kohlenstofffasern, sondern deutlich dünnere Nano-Bausteine – zum Beispiel Kohlenstoff-Nanoröhrchen oder komplexe Geflechte aus Nanofasern bis hin zum Aerographit, dem leichtesten Material der Welt, das Forscher der TU Hamburg-Harburg vor einiger Zeit erstmals herstellen konnten. Die Idee: Füllt man die Räume zwischen diesen Nano-Bausteinen mit einem geeigneten Polymer, erhält man einen neuartigen Kohlefaser-Verbundwerkstoff. Er könnte leichter und vielseitiger sein und womöglich auch einfacher hergestellt werden als konventionelle CFK-Materialien.

Interessant sind auch schwammähnliche Metallstrukturen. Das sind Metalle, die zahllose nanometerkleine Poren besitzen und deshalb deutlich leichter sind als ein gleichgroßes, kompaktes Stück Metall. Im Prinzip könnten solche Materialien als Sensor oder Aktor dienen: Legt man eine Spannung an sie an, dehnt sich das Metallgeflecht aus oder zieht sich zusammen – ein Aktor. Gibt man mechanischen Druck auf das Material, ändert sich die elektrische Spannung – ein Sensor.

Außerdem wollen die Forscher die winzigen Poren im Metall gezielt mit Polymeren füllen und dadurch eine neue Klasse von Verbundwerkstoffen entwickeln. Eine der Ideen: Manche dieser Polymere sind von nanometerfeinen Kanälen durchzogen, durch die sie Wasser leiten können. Dadurch lassen sich, so die Hoffnung, elektrische Ladungen auf die Metalloberfläche transportieren. Das wäre ebenfalls eine Strategie, die Metallschäume mit elektrisch schalt- und steuerbaren Funktionen zu versehen – z.B. einfach auszulesenden Dehnungsmess-Sensoren wie man sie an vielen Stellen in der Technik benötigt.

Sinnvoll könnte es auch sein, in die Materialien verschiedene Größenskalen und Hierarchieebenen zu integrieren: Für die Funktion eines Materials ist es in den meisten Fällen günstig, dass das Material viele Nanoporen besitzt und damit eine große innere Oberfläche. Um diese Funktion allerdings effektiv ein- und ausschalten zu können, bräuchte es zusätzliche, größere Kanäle im Mikrometermaßstab. Über sie liefe der Schaltprozess deutlich schneller als über die winzigen Poren. Vergleichbar ist die Situation mit dem Treiben in einer Stadt: Die eigentlichen Geschäfte werden in den kleinen Läden in den Nebenstraßen gemacht. Der schnelle Transport der Waren jedoch erfolgt über einige wenige große Verkehrswege – Autobahnen, Zuglinien und Flüsse.

Die Forschungsfragen

  • Die mechanischen Eigenschaften von Strukturmaterialien sind umso besser, je kleiner ihre Grundbausteine sind. Woran liegt das, welches sind die physikalischen Grundlagen dafür?
  • Bislang gelingt es, nanoporiges Gold und Platin herzustellen. Wie schafft man das mit anderen Metallen, insbesondere Titan und Aluminium?
  • Wie kann man effektiv Poren unterschiedlicher Größenordnungen in ein Metall einbringen?Wie lassen sich Kohlenstoff-Nanofasern möglichst dicht miteinander vernetzen?
  • u.v.a.m

Methoden und Instrumente

Die Herstellung nanoporiger Metallschäume erfolgt per elektrochemischer Korrosion. Bei diesem Verfahren wird eine solides Metallstück etwa aus einer Gold-Silber-Legierung in eine hochreine Säure getaucht. Dann schickt man einen elektrischen Strom durch das Metall. Er reicht aus, um das Silber aus der Legierung zu korrodieren. Das verbleibende Gold ordnet sich um und formt ein poröses Metallstück mit mehr oder minder komplexen Nanostrukturen. Um für den Signaltransport größere Kanäle in den Schaum zu bringen, kann ein zweiter Korrosionsprozess mit anderen Prozessparametern folgen.

Will man diese winzigen Poren mit Polymeren füllen, wird das löchrige Metall unter Vakuum gesetzt und in flüssiges Kunstharz getaucht. Dann wird wieder belüftet, und der Luftdruck presst das Harz in die Poren des Metalls. Schließlich kann das Harz aushärten und dadurch das poröse Metall stabilisieren.

Um neuartige Kohlenstoff-Verbundwerkstoffe zu produzieren, wird ein Klotz aus Plastik pyrolytisch, also unter Hitzeeinwirkung, zersetzt. Plastik besteht im Wesentlichen aus Kohlenwasserstoffen, und bei hohen Temperaturen „verdampft“ der Wasserstoff aus dem Material. Der verbleibende Kohlenstoff vernetzt sich zu einer porösen Substanz, die sich abhängig von den Prozessbedingungen aus mehr oder weniger dichten Nanogeflechten und –gerüsten aufbaut. Diese Strukturen lassen sich mechanisch stabilisieren, indem man sie mit Polymeren füllt.

Materialien auf Nanoröhrchen-Basis stellen die Experten her, indem sie in einem Spezialofen Kohlenstoff auf eine Siliziumfläche aufdampfen. Dabei bildet sich eine hauchdünne Lage aus Röhrchen, die sich gut vom Silizium trennen lässt. Dann werden mehrere dieser Lagen gestapelt. Um die Dichte zu erhöhen, presst sie zwischendurch immer wieder eine Walze zusammen. Außerdem werden die Nanoröhrchen in flüssiges Kunstharz getränkt. Indem das Harz ausartet, erhöht sich die Stabilität des Werkstoffs.

Um herauszufinden, welche Eigenschaften ein im Labor hergestelltes Material besitzt, nehmen es die Forscher mit speziellen Messverfahren unter die Lupe. Unter anderem beschießen sie es mit dem extrem hellen Röntgenlicht des Speicherrings PETRA III am Forschungszentrum DESY in Hamburg. Dadurch lässt sich herausfinden, wie die Atome und die Poren im Werkstoff verteilt sind.

Eng in die Aktivitäten involviert sind mehrere Theoretiker: Sie untersuchen, wie gut ein Polymer an ein Kohlenstoff-Nanoröhrchen bindet, beschreiben das Verhalten innerer Grenzflächen und errechnen, welche mechanischen Eigenschaften eine makroskopische Materialprobe besitzt. Damit geben die Theoretiker wichtige Hinweise, welche Art von Laborexperimenten besonders interessant wären.