Multiphysiksimulation des menschlichen Magens

Abbildung 1: Magengewebepatch mit rhythmischen, peristaltischen Kontraktionswellen (links) und dysrhythmischen Kontraktionswellchen (rechts). Die Farbskala gilt für beide Grafiken. Nachdruck aus [1], lizensiert unter CC BY 4.0.


Funktionelle Dyspepsie, gastroösophageale Refluxkrankheit (GERD) und Adipositas sind weitverbreitete Krankheitsbilder in Industrieländern, die mit wesentlichen Einschränkungen der individuellen Lebensqualität und erheblichen Kosten für das Gesundheitswesen verbunden sind. Ihnen ist gemein, dass sie eng mit der Biomechanik des Magens zusammenhängen. So besteht beispielsweise die Behandlung von Adipositas aktuell häufig aus einem chirurgischen Eingriff (Adipositaschirurgie), bei dem die Geometrie des Magens und damit seine Mechanik irreversibel verändert wird.

Die Biomechanik des menschlichen Magens ist von einem komplexen Zusammenspiel mehrerer physikalischer Phänomene geprägt: Ein komplexes elektrophysiologisches System generiert durch die Magenwand laufende elektrische Wellen, die mechanische Kontraktionswellen der Magenwand auslösen und steuern. Eine Hauptaufgabe dieser Kontraktionswellen wiederum ist die Durchmischung und Zerkleinerung von Speisebrei. Wie genau sich diese physikalischen Phänomene gegenseitig beeinflussen, ist noch weitgehend unerforscht. Um das komplexe Zusammenspiel zwischen Magenelektrophysiologie, Strukturmechanik der Magenwand und Fluidmechanik von Speisebrei untersuchen zu können, entwickeln wir deshalb ein gekoppeltes Multiphysiksimulationsmodell des menschlichen Magens.

Abbildung 2: Schematische Darstellung der Kopplung zwischen den physikalischen Feldern eines Multiphysikmodells der Elektromechanik des Magens.

 

Mit Hilfe unseres Modells wollen wir sowohl die physiologische (siehe Abbildung 3 oben) als auch die pathophysiologische (siehe Abbildung 3 unten) Verdauung im Magen detailliert untersuchen. Daneben wird unser Modell auch in anderen Feldern wie Food Design, Pharmazie oder computer-gestützter Medizin eine Vielzahl neuer Möglichkeiten eröffnen.

 

Abbildung 3: Idealisiertes, zylindrisches Magenmodell mit physiologischen peristaltischen Kontraktionswellen (oben) und dysrhythmischen, spiralförmigen Kontraktionen (unten). Die linke Spalte zeigt die diffusive Ausbreitung des elektrischen Grundsignals (normalisiertes Transmembranpotential), welches die mechanischen Kontraktionswellen steuert. Die rechte Spalte zeigt die resultierende mechanische Verformung (Betrag der Verschiebung).

Literatur:
[1]: Brandstaeter S, Gizzi A, Fuchs SL, Gebauer AM, Aydin RC, Cyron CJ. (2018) Computational model of gastric motility with active-strain electromechanics. Z Angew Math Mech. 98(12). 2177-2197. (DOI: 10.1002/zamm.201800166).
[2]: Brandstaedter S, Fuchs SL, Aydin RC, Cyron CJ (2019) Mechanics of the stomach: a Review of an Emerging Field of Biomechanics, GAMM-Mitteilungen: e201900001