Mehrskalensimulation von Weichgewebemechanobiologie

Im Gegensatz zu klassischen technischen Materialien, die üblicherweise einen spannungsfreien, relaxierten Zustand anstreben, zielen viele biologische Gewebe auf die Erhaltung einer sogenannten homöostatischen Spannung (ungleich null) ab. Wird diese durch äußere Einflüsse (beispielsweise durch Krankheit) gestört, resultieren umfangreiche, auf mechanischen, biochemischen und biologischen Vorgängen beruhende Wachstums- und Umbauprozesse auf der Mikroskala. Obwohl experimentelle und klinische Beobachtungen die wesentliche Rolle der Mechanobiologie bei zahlreichen Erkrankungen belegen, sind ihre mechanischen und mathematischen Grundlagen derzeit noch weitgehend ungeklärt. Um mechanisch gesteuerte Wachstums- und Umbauprozesse in lebendem Gewebe zu verstehen und vorherzusagen, ist die Entwicklung zuverlässiger theoretischer und numerischer Mehrskalenmodelle und ihre Validierung mit experimentellen Daten daher eine der wichtigsten Herausforderungen der Biomechanik.


In Zusammenarbeit mit Partnern an der Yale Universität (USA) untersuchen wir derzeit mit einem selbstgebauten biaxialen Bioreaktor die mikromechanischen und mathematischen Grundlagen der Spannungshomöostase mit besonderem Augenmerk auf der Kopplung mechanischer, biochemischer und biologischer Prozesse.

 

Basierend auf diesen Daten verwenden wir ein eigens implementiertes Verfahren zur Simulation der mikromechanischen Interaktion von Zellen (wie Fibroblasten oder glatten Muskelzellen) mit umliegenden Matrixfilamenten. Dabei werden einzelne Polymerketten als Kontinua modelliert und mit finiten Elementen diskretisiert. Mithilfe dieses diskreten Fasermodells untersuchen wir neben der Spannungshomöostase auch für die Gewebegesundheit essenzielle Phänomene wie Zellmigration.

 

Durch mikromechanische Simulationen werden mathematisch-mechanische Gesetze der Mechanobiologie (beispielsweise hinsichtlich der Erhaltung der homöostatischen Spannung) ermittelt, die anschließend in Simulationen auf der Makroskala verwendet werden können. Hier entwickeln wir derzeit als neuen Ansatz sogenannte homogenisierte Constrained-Mixture-Modelle, die es erlauben, in Polymermischungen deutlich einfacher und numerisch effizienter inelastische Verformungen zu beschreiben, wie sie etwa bei Wachstums- und Umbauprozessen in biologischen Geweben stattfinden.


Die multiskale Modellierung von Weichgewebemechanobiologie basierend auf eigens gewonnenen experimentellen Daten soll in Zukunft helfen, bessere medizintechnische Implantate und Prothesen zu entwickeln, chirurgische Eingriffe besser zu planen sowie neue Verfahren im Tissue Engineering zu entwickeln.