Care-Arbeit in Bewegung. Eine arbeitssoziologische Analyse des familialen Care-Handelns für Kinder

  • Leitung: Prof. Dr. Gabriele Winker
  • Projektkonzeption und -durchführung: Dipl.-Ing. Wibke Derboven
  • Laufzeit: 2013-2018

Zielsetzung

Die Studie untersucht die Tätigkeiten von Eltern zur Versorgung ihrer Kinder unter der Perspektive, dass diese Tätigkeiten erstens Arbeit sind und zweitens derzeit unter sehr ungleichen, aber immer ungenügenden Rahmenbedingungen realisiert werden müssen. Unter einer arbeitssoziologischen Perspektive wird das familiale Care-Handeln erstens beschrieben, zweitens typisiert und drittens in den Kontext der sehr ungleichen sozio-ökonomischen Rahmenbedingungen gestellt, unter denen familiale Care-Arbeit für Kinder heute stattfindet. Ziel ist es, ein tiefes Verständnis dieser unentlohnten Haus- und Sorgearbeit zu entwickeln, indem die besondere Art sowie das Anforderungsprofil herausgearbeitet werden. Als theoretischen Hintergrund für eine arbeitssoziologische Analyse des familialen Care-Handelns wird das Konzept des Arbeitshandelns nach Böhle (2010) genutzt. Die aus diesem theoretischen Hintergrund abgeleiteten und dem Forschungsfeld angepassten Forschungsfragen lauten wie folgt:

  • Ff 1: Was machen Eltern: welche Tätigkeiten verrichten sie, und welche Ziele verfolgen sie?
  • Ff 2: Welche zentralen Handlungsstrategien realisieren Eltern: wie strukturieren sie ihre Familienzeit, welche zentralen Interaktionsformen realisieren sie im Umgang mit ihren Kindern, wie gestalten sie ihre Kooperationen mit unterstützenden Institutionen und Personen?
  • Ff 3: Welche Ressourcen bringen Eltern ein: welche Kompetenzen, Arbeitsmittel und Kraftquellen nutzen und unterstützen sie?
  • Ff 4: Was belastet Eltern?
  • Ff 5: Wann erleben Eltern ihr Tätigsein für ihre Kinder eher als Arbeit und wann eher als Nicht-Arbeit?
  • Ff 6: Wie bewerten Eltern ihr Leben mit Kindern?
  • Ff 7: Welche Handlungstypen von Eltern lassen sich unterscheiden, und wie hängen diese zusammen mit verschiedenen sozio-ökonomischen Rahmenbedingungen?

Begründung

Es ist eine allgemein bekannte und anerkannte Tatsache, dass Eltern unbezahlt sehr viel für die Gesellschaft leisten und dabei sehr hohen Belastungen ausgesetzt sind. Entsprechend werden die Tätigkeiten von Eltern zunehmend als gesellschaftlich notwendige Arbeit gedeutet. Im Widerspruch dazu werden die Rahmenbedingungen, unter denen Eltern ihre Kinder versorgen, zunehmend schlechter: Familienzeiten und Familienlöhne brechen weg und dies bei gleichzeitig gestiegenen Anforderungen an die Aufgaben von Eltern. Trotz der problematischen Lage dieser für jede Gesellschaft wichtigen Arbeit konzentriert sich die Arbeitssoziologie in ihren Analysen immer noch auf die Erwerbsarbeit. Hier setzt die vorliegende Studie an und analysiert unter einer arbeitssoziologischen Perspektive die Tätigkeiten von Eltern unter dem Begriff der familialen Care-Arbeit für Kinder. Ausgehend von der Annahme, dass die Arbeit von Eltern trotz der zunehmenden Würdigung in Teilen immer noch unverstanden und unsichtbar ist, möchte diese Studie dazu beitragen, ein tieferes Verständnis der familialen Care-Arbeit für Kinder zu ermöglichen. Dahinter liegt die Überzeugung, dass ein besseres Verständnis zwar keine hinreichende, doch aber eine notwendige Bedingung dafür ist, dass neue und wirksame politische Ideen entwickelt und umgesetzt werden, die die Rahmenbedingungen von Eltern verbessern und darüber Eltern merkbar entlasten.

Methode

Insgesamt wurden 16 problemorientierte Interviews (Witzel 1989) mit aktiven Eltern aus den vier Reproduktionsmodellen nach Winker (2015) geführt. Damit wurde die Bandbreite der möglichen sozio-ökonomischen Rahmenbedingungen von Eltern im Sample abgedeckt. Die Auswertung erfolgte im ersten Schritt mit einer Kombination aus der inhaltlich strukturierenden und der evaluativen qualitativen Inhaltsanalyse nach Kuckartz (2014) und im zweiten Schritt mit der typenbildenden Inhaltsanalyse nach Kuckartz (2014). In einem dritten Schritt wurden aus sämtlichen Interviews Subjektkonstruktionen in Anlehnung an die Intersektionale Mehrebenenanalyse nach Winker und Degele (2009; auch Winker 2012) heraus gearbeitet. Das Ergebnis dieser Auswertungen ist erstens eine Beschreibung der familialen Care-Arbeit für Kinder entlang der an das Feld angepassten Dimensionen von Arbeit, wie sie im arbeitssoziologischen Konzept des Arbeitshandelns (Böhle 2010) formuliert sind. Ein zweites Ergebnis ist eine Typologie des familialen Carte-Arbeitshandels von Eltern, die grundsätzlich verschiedene Handlungsweisen von Eltern in ihrer gesellschaftlichen Bedingtheit beschreibt.

Ergebnisse

Die Auswertung zeigt, dass die zentralen Dimensionen von Arbeit wie sie im Konzept des Arbeitshandelns formuliert sind, geeignet sind, um bisher wenig beachtete Facetten der Tätigkeit von Eltern sichtbar zu machen. Die Ergebnisse der Auswertung geben im ersten Schritt einen strukturierenden Überblick über die vielfältigen Ausprägungen der zentralen Dimensionen der Arbeit von Eltern. Deutlich werden die hohen Anforderungen und die über alle Eltern hinweg gleichen anspruchsvollen Ziele, aber auch die Unterschiedlichkeit des Care-Handelns von Eltern wird deutlich. Große Unterschiede bestehen im Hinblick auf erstens die Strukturierung der zur Verfügung stehenden Familienzeit, zweitens die realisierte zentrale Interaktionsform zur Einflussnahme auf die Kinder und drittens den Grad und die Qualität der realisierten Arbeitsteilung. Darüber hinaus zeigen die Ergebnisse eine große Bandbreite und Unterschiedlichkeit im Hinblick auf die eingesetzten Ressourcen, die empfundenen Belastungen, den Unterschied zwischen gefühlter Arbeit und Nicht-Arbeit und die Bewertungen des Lebens mit den Kindern. Im zweiten Schritt zeigen die Ergebnisse eine Care-Typologie von Eltern, die grundlegende Unterschiede im Care-Handeln herausarbeitet: Gemeinschaftsgestalter*Innen, Manager*innen und Tagesbezwinger*innen werden in ihrem Arbeitshandeln beschrieben und im Hinblick auf ihre sozio-ökonomischen Rahmenbedingungen verortet. Das Ergebnis zeigt, dass das jeweils realisierte Arbeitshandeln im Zusammenhang sowohl mit den sozio-ökonomischen Bedingungen als auch mit dem Aufmerksamkeitsbedarf des zu versorgendes Kindes steht.

Zielgruppe

Die Studie vermittelt Forscher*innen, Politiker*innen und allen anderen im Bereich der Familienarbeit Tätigen eine facettenreiche und strukturierte Beschreibung, wie Eltern heute in ihrer verbliebenen Familienzeit handeln (müssen). Sichtbar wird die Art und das Anforderungsprofil der familialen Care-Arbeit für Kinder sowie die Unterschiedlichkeit der Realisierung. Die Bedeutung der Studie liegt in der breiten und gleichzeitig tiefen sowie differenzierenden Analyse auf der Grundlage des arbeitssoziologischen Konzepts des Arbeitshandelns (Böhle 2010).

Veröffentlichungen:

  • Derboven, Wibke (2016): Macht aktive Elternschaft sozial ungleich? In: Carstensen, Tanja; Groß, Melanie; Schrader, Kathrin (Hg.) (2016): Care | Sex | Net | Work. Feministische Kämpfe und Kritiken der Gegenwart. Gabriele Winker zum 60. Geburtstag gewidmet. Münster: Unrast, S. 95-104.
  • Derboven, Wibke (im Erscheinen): Elternschaft als Arbeit. Familiales Care-Handeln für Kinder. Eine arbeitssoziologische Analyse. Bielefeld: transcript.