Im zweiten Jahr der dreijährigen Projektlaufzeit konnte die Erprobung der entwickelten virtuellen Kollaborationsumgebung erfolgreich abgeschlossen werden. Hierzu wurde die komplette Produktentwicklungskette eines innovativen FCOC-Wärmetauschers (fuel cooled oil cooler) für die Luft- und Raumfahrt durchlaufen. Der FCOC-Wärmetauscher wurde aufgrund seiner überdurchschnittlichen Komplexität als Demonstrator ausgewählt. Er bietet eine große Zahl an Schnittstellen, an denen die verschiedenen Akteure entlang der AM-Wertschöpfungskette – also Auftraggeber, Konstrukteur, 3D-Druck, maschinelle Nachbearbeitung – miteinander auf verschiedenen Ebenen kommunizieren und Informationen austauschen müssen. Auf der virtuellen Kollaborationsplattform erfolgten daher wöchentliche Treffen der Konsortialpartner zur praktischen Erprobung der interaktiven Möglichkeiten. Nach jedem Treffen schlossen sich Feedbackschleifen an die IT-Entwicklung zur weiteren Optimierung der VR-Umgebung an, um die VR-Umgebung bestmöglich an die Erfordernisse der Nutzer anpassen zu können.
Während der VR-Meetings konnten die in die Szene hochgeladenen dreidimensionalen Versionen des Wärmetauschers von allen Teilnehmern im Detail betrachtet werden (s. Abbildung 1). Hierzu ist die freie Bewegung im Raum und die eigenständige Einnahme einer individuellen Betrachtungsperspektive aller Teilnehmer möglich. Durch Skalierung ist auch das Eintauchen selbst in sehr kleine Objekte möglich, welche dann auch in Innenansicht untersucht werden können. Durch verschiedene Manipulationswerkzeuge können die betrachteten Objekte frei im Raum bewegt, gedreht, geneigt, verschoben und skaliert werden.
Bei der Besprechung zeigen die Teilnehmer mit individuell farbcodierten Laserpointern auf diejenigen Details, über die sie gerade sprechen (s. Abbildung 2). Es ist auch möglich, kleine Haftnotizen an den Objekten zu hinterlassen, um für spätere Besprechungen an etwas zu erinnern oder Informationen für andere Teilnehmer zu hinterlassen, falls diese sich nicht zeitgleich in der Szene befinden.
Neben der direkten Kommunikation der Akteure am dreidimensionalen Modell, können auch die in der Kollaborationsumgebung an mehreren Wänden vorhandenen Infoscreens genutzt werden, auf welchen – ähnlich einem Zoommeeting – Informationen zweidimensional geteilt werden (s. Abbildung 3). Dies können bspw. Simulationen aus Optimierungstools oder Zeichnungen aus CAD-Programmen sein, aber auch Fotos, die von den Teilnehmern zuvor in der Szene aufgenommen wurden.
Besonders reizvoll ist die Möglichkeit, in der virtuellen Umgebung Abläufe zu simulieren und auf ihre Machbarkeit zu überprüfen. So kann bspw. der 3D-Druck virtuell vorweggenommen werden und die Passung gegenüber den vorhandenen Spannsystemen der maschinellen Nachbearbeitung überprüft werden. In Abbildung 4 sieht man den 3D-Druck des Wärmetauschers mitsamt Supports (grün), welcher virtuell in die Einspannung der CNC-Fräse (schwarz) geschoben wird und dann durch die beweglichen Spannbacken an seinen Haltevorrichtungen festgeklemmt wird. So kann überprüft werden, ob die gewählte Anordnung der Supportstrukturen aus dem 3D-Druck kompatibel mit den geometrischen Gegebenheiten der Zerspanungsmaschine ist. Auch der gesamte Zerspanungsprozess und die Wegeplanung der verschiedenen Fräsköpfe können somit virtuell vorab simuliert und auf Hindernisse überprüft werden. Dies erspart den material-, energie- und zeitaufwändigen sowie sehr kostspieligen Metall-3D-Druck einer ganzen Serie realer Prototypen, weil durch die Kollaborationsumgebung die Expertise aller Akteure zeitgleich an einem Punkt gebündelt wird und der gesamte Ablauf vorab virtuell simuliert werden kann. Ein weiterer interessanter Aspekt, der in Abbildung 4 gezeigt wird, ist die Möglichkeit der gleichzeitigen Betrachtung von Soll- und Ist-Zustand des Objektes. So ist auf dem Infoscreen die CAD-Planung des Wärmetauschers und des CNC-Spannsystems zu sehen, mittig die in die Szene hochgeladenen dreidimensionalen Objekte als Kantenmodelle (Soll-Zustand) und links im Bild die virtuell gedruckte Version (Ist-Zustand). Sollte die virtuelle Simulation Probleme aufweisen, können diese sofort in der CAD-Ursprungsplanung behoben werden, wodurch sich ein zeitsparender Instant-Loop mit direkter Feedbackschleife ergibt.
Das KoPro-VR-Projekt tritt nun nach Abschluss der Erprobungsphase in die abschließende berufswissenschaftliche Betrachtung und wissenschaftliche Auswertung im dritten Projektjahr ein. Hier sollen u. a. die Fragen untersucht werden, wie sich Arbeits- und Kommunikationsprozesse durch den Einsatz einer virtuellen Kollaborationsumgebung verändern und welche Fähigkeiten Fachkräfte zukünftig trainieren müssen (Curricula), um diese Werkzeuge effizient nutzen zu können.