Gedanken zur "Katalogisierung" elektronischer Dokumente, insbesondere elektronischer Zeitschriften

Oder

Die Zukunft (=Auflösung) des lokalen Katalogs ?

Thomas Hapke
UB der TU Hamburg-Harburg
hapke@tu-harburg.de
Stand: 30.10.2000

Einleitung

Welche Gründe gibt es für einen Kunden einer Bibliothek zunächst den eigenen Katalog zu nutzen statt eines Regional- oder Verbundkataloges ? Ist es für ihn nicht besser, zunächst in einem großen Pool zu suchen und nur, wenn er dort festgestellt hat, sein Buch sei lokal vorhanden, den eigenen OPAC zur Bestellung z.B. aus dem Magazin zu benutzen ?

Wie lange wird es einen lokalen Katalog überhaupt noch geben ? Wird er nicht abgelöst durch eine lokale "Sicht" auf eine Verbund-Oberfläche, die verschiedene Datenbanken integrieren kann ?

Wird durch die wachsende Zahl elektronischer Dokumente, besonders der elektronischen Zeitschriften, diese Entwicklung beschleunigt ?

Welche elektronischen Dokumente sollen im lokalen Katalog überhaupt erscheinen ?

Diese Fragen befassen sich wie dieser Beitrag nicht mit der regelwerkstechnischen sondern eher mit der strategisch-konzeptionellen Seite der "Katalogisierung" elektronischer Dokumente. Diese wird sowohl Auswirkungen auf die lokalen Bibliothekssysteme und -kataloge als auch auf die Dokumentenlieferung haben. Katalogisierung wird dabei verstanden als Erschließung und Zur-Verfügung-Stellung von Dokumenten. Der Beitrag enthält hauptsächlich Fragen und wenig Antworten, sowie ein paar Visionen. Wir, die Bibliotheken, müssen uns entscheiden, wohin wir gehen wollen !

Elektronische Dokumente können sein (Beispiele TUB-HH):

Was gehört in den lokalen Katalog ?

Bestandsauswahl bei elektronischen Dokumenten bedeutet die Entscheidung, dieses Dokument im eigenen lokalen OPAC anzubieten, weil es aus Sicht der Bibliothek von lokalem Wert ist. Dies ist vom Prinzip her genauso wie beim Print-Material. Bei kostenfreien zugänglichen elektronischen Netz-Dokumenten ist die Erfassung im eigenen OPAC gleichzeitig die einzige Tätigkeit, die zur Erwerbung gehört.

Beispiel: Bisher im Tausch erworbenen Dissertationen bietet die lokale Bibliothek im OPAC an. Elektronische, meist frei zugängliche Dissertationen tauchen plötzlich nicht mehr im OPAC auf, es sei denn, die Bibliothek hat diese extra im CBS mit ihrem Lokalsatz versehen (z.B. die Dissertation mit dem Titelstichwort "Abfallpolitik" im OPAC der TUB-HH).

Hier soll natürlich nicht einer Katalogisierung des Internet das Wort geredet werden. Dafür ist in den Medienbearbeitungs- und Erschließungsabteilungen der Bibliotheken bisher kaum Raum.

Gleichwohl sollten alle lokal lizensierten, also außerhalb des lokalen Intranets meist nicht zugreifbaren elektronischen Dokumente im lokalen Katalog enthalten sein !

Welchen Sinn macht die Verzeichnung eines lokal lizensierten elektronischen Produktes in einem Verbundkatalog, wie es ja zur Zeit automatisch passiert, wenn man dieses in seinem lokalen OPAC anbieten will ?

Lokale Erfassung eines elektronischen Dokumentes bedeutet, dass die URL des Dokumentes im Lokalsatz der Aufnahme im CBS steht, was ja wohl möglich ist. Es sollte dann doch möglich sein, die Anzeige dieser URL im CBS zu unterdrücken. Die lokale Erfassung ist generell sogar sehr sinnvoll: Für elektronische Dokumente, die nur eine lokal gültige URL haben, TUB-HH Beispiel: CLIXX Chemie, sollte die URL nur im Lokalsatz stehen, da anderswo gegebenenfalls über andere URLs zugegriffen wird.

Zwei Beispiele: Der Titel "Clixx Chemie", ein elektronisches chemisches Lehrbuch, ist auf einem lokalen TUHH-Rechner installiert und steht dort für das TUHH-Intranet zur Verfügung. Ebenfalls für die Resource "Umwelt-Online" (www.umwelt-online.de) bezahlt die TUB-HH Lizenzgebühren für den Intranet-Zugriff. Das Angebot steht aber auf einer von der TUHH unabhängigen Adresse und kann über diese Adresse auch von anderen Universitäten subskribiert werden.

Im Zusammenhang mit elektronischen Zeitschriften und der Umfrage nach Aggregators von Frau Stolarski über die Pica-Liste (11.10.2000) ist vielleicht folgendes noch interessant: Die Volltexte elektronischer Zeitschriften können ja an verschiedenen Stellen im Web zur Verfügung stehen, bei Verlag, beim Herausgeber z.B. der wissenschaftlichen Gesellschaft (wenn der Verlag es erlaubt oder wenn die Gesellschaft selbst als Verlag agiert) oder auch bei diversen Aggregators (z.B. OCLC, das ja den Zugriff auf Volltexte von e-journals diverser Verlage anbietet und quasi als outgesourctes Magazin für E-Journals dienen will - gegen entspr. Gebuehren natuerlich !). Welche URL müßte wo erfasst werden ? Bei einer Katalogisierung im CBS ist die Frage, nimmt man alle URLs in die Aufnahme und jede Bibliothek hängt sich je nach Vertrag (mit Verlag oder über Aggregator) "an diejenige URL mit Lokalsatz an" (wie immer das datenbank-technisch umgesetzt werden kann !), zu der den Zugang für ihre Kunden erlaubt.

Das Optimum der Katalogisierung elektronischer Zeitschriften in einem lokalen Katalog ist sicher der direkte Zugriff auf die URL der Zeitschrift im OPAC.

Der Kunde einer lokalen Bibliothek will einen Zugang zu Dokumenten gleich welchen Formates, konventionell oder elektronisch ! Die Recherche liefert im Optimum eine Treffermenge, deren Dokumente lokal als Buch ausleihbar sein können, Aufsätze oder Bücher, die konventionell über Dokumentenlieferung beziehbar sein können oder elektronische Dokumente, die entweder frei verfügbar oder nur von bestimmten Rechner-Adressen zugreifbar sind. Es könnte sogar dem Nutzer angeboten werden - wie z.B. zur Zeit wohl in der Digitalen Bibliothek NRW - das Buch oder das "Informationssegement" bei einem Online-Buchhändler oder -Lieferanten zu kaufen.

Das es zu einer Vermischung selbständig und unselbständig erscheinender Dokumente im Katalog kommen wird, sei hier nur am Rande erwähnt. Für die Kunden der Bibliotheken ist es langfristig sogar überhaupt nicht interessant, ob die "Zeitschrift vorhanden ist", sie sind doch in der Regel nur an den einzelnen Artikeln interessiert. Dann könnte man doch die Zeitschriften ganz aus dem OPAC nehmen und diese quasi in das Lizenzverwaltungs-Modul übernehmen ? Die "Zeitschrift" wäre dann quasi für die Bibliotheken nur ein "Hilfsmittel", um den Zugang zu den einzelnen Artikeln zu steuern !

Lizenzverwaltung als Teil der Katalogisierung ? Lokal oder verbundweit ?

Sollte der Zugriff bei einer elektronischen Zeitschrift aber nur dann im lokalen OPAC nachgewiesen werden, wenn der Zugriff auf die Volltexte auch lokal möglich ist ?

Egal ob man die obige Frage mit "Nein" oder "Ja" antwortet, sofort kommt hier die Problematik der Lizenzverwaltung und -anzeige ins Spiel. Der Kunde sollte als Service angezeigt bekommen, unter welchen Bedingungen von welchen Rechnern ein Zugriff auf was (die Volltexte oder nur die Abstracts) möglich ist.

Die URL einer elektronischen Zeitschrift kann in einem lokalen Katalog auch dann Sinn machen, wenn die Volltexte nicht für die betreffende Institution lizensiert sind, erhält man doch dann oft zumindest die Aufsatztitel einzelner Hefte mit ihren Abstracts. Was ist mit elektronischen Ausgaben von Zeitschriften, die den Zugriff auf die Volltexte nach einem Monat, einem halben oder ganzen Jahr gestatten, vorher dies aber nur Subskribenten erlauben ?

Die Schnelllebigkeit elektronischer Lizenzen und Lizenzbedingungen kann in lokalen Katalogen wohl nur mit hohem Aufwand abgebildet werden. Daher nutzen viele Bibliotheken für die E-Journals die Elektronischen Zeitschriftenbibliothek (EZB) der UB Regensburg !

Bedeutet der Einsatz von Lizenzverwaltungs-Programmen das Ende des lokalen Kataloges ?

Drei Möglichkeiten der Lizenzverwaltung

Verbundweites "Ausleihkonto"

Geht man von einer verbundweiten Lizenzverwaltung aus, sollte die verbundweite Bestands- und Zugriffsverwaltung elektronischer Dokumente integriert werden mit der lokalen Bestands- und Ausleih-Verwaltung (bisherige LBS-Funktionen). Verbundweit hat der Kunde dann von der Vision her nur noch ein "Ausleihkonto", das neben lokalen Ausleihen die Fernleihen enthält, aber vielleicht auch die für den Nutzer für einen bestimten Zeitraum freigeschalteten, weil bezahlten (pay per view) elektronischen Dokumente. Hier muß dann eine Verbindung zur generellen Lizenzverwaltung existieren. Auf jeden Fall bekommt so die Integration des GBV-Fernleih-Systems mit dem lokalen System (Konzept von Fr. Thoms der Facharbeitsgruppe Lokale Geschäftsgänge des GBV) eine viel weitere Bedeutung.

Schluss

Ob die Bibliotheken und ihre Kunden dies alles so oder so wollen, ist eine ganz andere Frage, über die dringend diskutiert werden muß. Der in Rostock vorgestellte Entwurf eines Konzeptes "Elektronische Bibliothek GBV" hat manche dieser Fragen und Visionen mit aufgeworfen. Die ins Haus stehende Zusammenarbeit mit Pica/OCLC wird Antworten auf manche dieser Fragen als noch dringlicher erscheinen lassen.